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Lied der Dalitfrauen von Maharashtra:


Beim Dammbau begrab ich mein Leben.
Der Abend bricht an
Doch auf dem Mahlstein
Liegt kein Mehl.
Die Spreu von Gestern
ist mein Brot von Heute.

Die Sonne geht auf
Und mir sinkt der Mut.
Ich leg mein Baby unter den Korb,
Versteck es.
Verberge die Tränen
Und gehe arbeiten
Zum Damm.

Der Damm ist fertig.
Er bewässert ihre Felder.
Macht ihr Zuckerrohr
saftig und süß.

Doch ich,
ich laufe meilenweit durch die Wälder
>und finde keinen Tropfen zum Trinken.
Und wenn die welken Blätter fallen
und meinen verdorrten Garten füllen,
Dann geb ich den Pflanzen wasser
mit meinem Schweiß.

(Daya Pawar)

Werte des Lebens

"In der indischen Kosmogonie wird die Welt im dialektischen Spiel von Werden und Vergehen, Bindung und Zerfall geschaffen und erneuert. Die Spannung zwischen diesen Gegensätzen begreift man als erste Erscheinungsform dynamischer Energie (Sakri). Aus dieser Ursprungsenergie geht Antrieb, Bewegung, ja alles Sein hervor. sie ist das Wesen aller Dinge und durchwaltet alles. Die Manifestation dieser Kraft und Energie wird Pakriti, Natur, genannt. So gesehen ist Natur Verkörperung von Sakti, dem weiblichen, schöpferischen Prinzip des Kosmos. Gemeinsam mit Purusa, dem männlichen Prinzip, erschafft Prakriti die Welt." (/1/ 51)

1. Menschliche Natur - natürliche Menschen

Das Kontinuum Natur-Gesellschaft (/1/ 54) wird auf diese Weise im traditionellen indischen Denken als schöpferisch, weil dialektisch, verstanden.

Die Natur-Beziehung des Menschen ist keine Eigentums- oder Herrschaftsbeziehung (deshalb eignet sich das Wort "Aneignung" auch schlecht dafür), sondern stellt die Kooperation des Wachsens- und Wachsenlassens (/1/ 57) dar.

Dieses wichtige lebenspraktische Gefühl der Einheit der Menschen in der Natur ging uns europäischen Menschen schon seit vielen Generationen verloren. Deshalb ist die Trauer um den unmittelbar gegenwärtigen Verlust dieser Einheit bei vielen Natur-Völkern für uns kaum nachvollziehbar. Unsere "zivilen Errungenschaften" basieren jedoch letztlich auf der Ausbeutung , dem Zerstören dieser Einheit bei uns, in uns und in der ganzen kolonisierten Welt. Insofern sind die meisten der "Natur"-Völker in viel höherem Maße Kultur-Völker als wir.

Wie schwer dies für uns einzusehen ist, zeigt u.a. die Diskussion um die eventuelle Einbeziehung der Natur in den Wertschöpfungsprozeß in der Produktion. Innerhalb der ökonomischen Diskussion, die sich eigentlich um "Gesetze des Haushaltens" drehen müßte, hat sich ein Teil dieser, nämlich die Chrematistik, die sich laut Aristoteles nur noch mit der Geld-Wirtschaft beschäftigt, durchgesetzt. In unserer Art chrematistischer Ökonomie herrscht der ökonomische, quantifizierte "Wert", in dem alle Qualitäten gleichgültig geworden sind. Selbst die marxistische Analyse und Kritik der kapitalistischen Ökonomie nach Marx vergaß, daß die Kritik dieser Ökonomie eine Beseitigung der Herrschaft aller ökonomischen Kalküle über die Menschen erfordert.

Wodurch wird die Herrschaft der Chrematistik i.a. (auch im Staatssozialismus) begründet? Es herrscht das Bild vor, daß der Mensch in der Produktion elende, bedürftige Lebenslagen durch die Beseitigung von Knappheiten aufhebt. Für Mitteleuropa mag dies (angesichts mehrerer dramatischer Klimaveränderungen in historischen Zeiten) sogar so gewesen sein und deshalb die Entwicklung vorangetrieben haben. Jedoch ist für die gesamte Menschheit nicht davon auszugehen, daß alle "Natur"-Völker elend, unentwickelt, primitiv lebten. In der Berechnung eines Bruttosozialprodukts tauchen ihre Lebens-Werte überhaupt nicht erst auf.

Erst eine auf Kapitalvermehrung ausgerichtete Gesellschaft wird auch bei diesen Völkern Knappheiten mit vollem Wissen schaffen, dazu die qualitativen Selbstversorgungsnetzwerke zerstören (vgl. "Bauernlegen" in Europa) und dann behaupten, die Knappheiten "beseitigen" zu wollen.

Besonders die Frauen in der sogenannten Dritten Welt erleben die Verarmung des Lebens durch den Einzug von "Entwicklung" dramatisch. Ihre Männer sind noch zuerst Nutznießer von Arbeitsplätzen beim Holzeinschlag. Für die Gemeinschaften in Indien lieferten die Wälder neben ihrer Funktion beim Wasserhaushalt, der Ökologie usw. fast 50% aller notwendigen Lebensmittel, Brennstoffe, Faserstoffe, Heilpflanzen usw.

"Der Sinn- und Wertmaßstab ist von den in der Männer-Forstwirtschaft gebräuchlichen völlig verschieden." (/1/ 77):

Jahrhundertelang nutzte die indische Bevölkerung den Wald multifunktional, pflegte ihn durch Baumbeschnitt, gezielte (Misch-)Pflanzungen und entsprechende Hege.

Für die britischen Kolonialisatoren waren die Wälder zuerst nur im Wege, weil nur Ackerbau Steuern einbrachte. Zusätzlich wurde Teakholz für das Militär gebraucht - also wurde abgeholzt.

Als ab 1865 eine "wissenschaftliche Bewirtschaftung" begonnen wurde, erfolgte eine neue Etappe der Ausbeutung. Der Wald wurde nicht multifunktional, in Bezug zu den Interessen seiner Nutzer(innen) betrachtet. Nur die kommerziell verwertbare Biomasse wurde als "Ertrag" gesehen, der ökologisch und als Lebensgrundlage der Bevölkerung wichtige Rest war "Abfall".

"Nach heutigen Nutzungs- und Industriematerialienkriterien sind die meisten Bäume der tropischen Regenwälder nichts anderes als Unkraut."(J.A.Bethel in Forest Management, Juni 1984)

Auch marxistische Debatten über die Wertbildung der Natur denken den Wert nur als Wert eines abgesägten Baumes. Gleichgültig, ob sie der Natur zugestehen, den Tauschwert selbst zu bilden (Immler), oder zur Wertzuschreibung erst die gesellschaftliche Arbeit des Umsägens benötigen (Schmied-Kowarzik) (nach /3/, siehe Debatte in /4/).

Wie sehr dieses Problem nicht nur ein Konflikt zwischen Kapital und Lohn-Arbeit ist, sondern eine Geschlechtsspezifik beinhaltet, zeigt sich eindrucksvoll in Indien. Während die Frauen traditionell die Waldpflege als Quelle des Lebens verstehen, sind es die eigenen Männer, die sich als Baumfäller verdingen lassen. Für die Männer wird das Bäume-fällen zum "Broterwerb", während für die Frauen das "Brot" nur im lebenden Wald wachsen kann. Ganz konkret kam es oft vor, daß die Frauen in der Chipko-Bewegung in Indien sich schützend vor die Bäume stellten, die ihre eigenen Männer fällen wollten.

Sogar aus anthropozentrischer Sicht, die die Natur durchaus im Interesse des Menschen betrachtet und nicht den Eigenwert der außermenschlichen Natur den menschlichen Interessen gegenüberstellt, ergibt sich die Notwendigkeit eines anderen als des jetzt weltweit praktizierten Verhältnisses zur Natur.

"Wir sollten uns stets vor Augen halten, daß der Sinn und Zweck von Gebirgswäldern nicht im Erwirtschaften von Kapitalerträgen besteht. Hauptfunktion dieser Wäder ist, das klimatische Gleichgewicht für die ganze nordische Region herzustellen und die Fruchtbarkeit der Gangesebene zu gewährleisten. Wenn wir diese ökologisch wichtige Funktion ignorieren und sie einer kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzung opfern, wird das Klima Nordindiens Schaden erleiden, Flut- und Dürrekatstrophen werden sich auf gefährliche Weise abwechseln und verstärken" (Sarala Behn, in: Himalaya: Man and Nature, 1980).

Als Produktion des Lebens muß die Form "die Dinge zum Wachsen zu bringen" integriert werden (Maria Mies, nach /1/ 56). Hier findet die Rolle der Frauen, einer partnerschaftlichen -kooperativen Umgangsform ihren Ausdruck. Blochs Mensch-Natur-Allianz wird dadurch "zurück-erinnert".

Eine Spezifik der ökofeministischen Utopie einer neuen Partnerschaft zwischen Menschen und mit der Natur ist es, daß sie stärker die Kontinuitäten betont als z.B. revolutionäre "linke" Projekte, die in der ständigen Umgestaltung von Praxis die Spezifik des Menschen gegenüber der äußeren Natur betonen.

Derselbe Prozeß des "In-falsche-Werte-Setzen" geschah mit dem sogenannten "Ödland".

"Wild" bewachsene Landflächen waren zu 80% in Gemeinschaftsbesitz und garantierten - bei aller Ausbeutung durch die feudalen Herren - die Grundernährung der Bevölkerung.

Das Programm der "Entwicklung des Ödlandes" verödet ökologische Vielfalt, laugt Böden aus und nimmt ihnen ihre wasserspeichernde Funktion. Gleichzeitig wird die Gemeinschaft zugunsten neuer Eigentümer enteignet. Nur 10% der vorher "Landlosen" bekommt das Land zugesprochen, die restlichen 90% der Menschen werden plötzlich "überflüssig" und bilden eine Teil der von uns so gefürchteten "Überbevölkerung".

2. Wissen als Begreifen und Gestalten der Praxis

Paracelsus wußte bereits, daß Wissen über die Natur nur durch das Mitwirken an diesem Zusammenwirken erworben werden kann.

Das ökologische Wissen über die Natur kann nur partnerschaftlich gewonnen werden. Meist waren besonders die Frauen Expertinnen in der Pflege der Wälder, dem Ackerbau und der Sorge um die Wasserquellen...

Europäische Wissenschaft ist damit schwer vergleichbar - zu "Siegen" kam sie oft nur dann, wenn sie (oft wider Willen und heimlich) diese Prinzipien berücksichtigte.

Der brühmte deutsche Forscher Dietrich Brandis versuchte vergeblich, Teakbaumsetzlinge zu ziehen. Die Setzlinge gingen regelmäßig ein. Die Waldbewohner dagegen präparierten die Samen und brachten sie im Mischanbau mit anderen Pflanzen zum Wachsen. Als Brandis es ihnen abgesehen und nachgemacht hatte, erhielt er hohe Auszeichnungen dafür ...

Auch der Wissenschaftler Howard machte schon zu Beginn dieses Jahrhunderts die Erfahrung:

"Ich kam zu dem Schluß, daß es wohl das beste wäre, die Arbeitsweise dieser Bauern zu beobachten und ihr traditionelles Wissen so schnell wir möglich zu erwerben.." (zit. nach /1/ 173)

Diese Art Übernahme hilft jedoch der europäischen Wissenschaftstradition nicht allzuweit. Für das "organische" Wissen ist es typisch, daß es den regionalen Besonderheiten angepaßt nur dezentral erwerb- und anwendbar ist.

Nur in dieser lebensnahen Dezentralität ist eine wirkliche Einheit von Theorie und Praxis, von Idee und Interesse möglich.

Diese Erkenntnis ist wichtig für alle Formen aktueller Wissenschaftskritik.

Die Praxisphilosophie ist vorwiegend kritisch orientiert:

Erkenntnis "muß das, woran er sich orientiert, gleichzeitig in Frage stellen" (Flego in /2/, S. 95).

Der Ökofeminismus betont dagegen die kontinuierlich, über Jahrhunderte erworbene Erfahrung der Bäuerinnen und Bauern. Diese Erfahrungs-Erkenntnis ist nichtsdestotrotz auch schöpferisch. Die Anbaumethoden werden ständig verbessert, es entstehen neue Lebensformen.

Es ist auch zu betonen, daß die Rolle der Frau bei der Menschwerdung bisher immer unterschlagen wurde. Ihre Interessen waren es, die Werkzeuge erzeugen ließen, Kulturen wachsen ließen.

Diese Unterschiede lassen sich als ergänzende Aspekte innerhalb eines Entwicklungskonzepts verstehen, in dem sich kontinuierliche Veränderungen mit sprunghaften Qualitätswechseln abwechseln. De jeweilige Betonung läßt sich aus der Praxis der Verankerung der Praxisphilosophen in der entfremdeten Gesellschaft und der der Ökofeministinnen in der noch-nichtentfremdeten Praxis erklären.

Die Kritik an der abendländischen "Wissenschaft" darf nicht nur ihre Fehlorientierung bedauern, sondern konsequent anklagen:

Die derzeit wieder als "Lösung der globalen Probleme" gepriesene "Biotechnologie" ist eine neue Etappe der In-Wert-Setzung des Lebendigen im Dienst der Kapitalakkumulation. Die "Biotechnologie" zerstört Errungenschaften aus 40 Jahrhunderten Pflanzenzucht in Indien (es gab 400 000 Reissorten, ans Klima und die Standortbedingungen angepaßt und trotzdem flexibel. Künstliche Hybride wachsen nur unter optimalen Bedingenen, die künstlich erzeugt werden müssen und die natürlichen Bedingungen zerstören!...).

"Aber wir benötigen gar keine Gentechnik, die Mais und Hirse stickstoffbindende Gene implantiert. Die Bauern und Frauen haben jahrhundertelang bereits die ökologischere Option angewandt und Mais im Gemenge mit stickstoffbindenden Bohnen und Hirse mit anderen Hülsenfrüchten angebaut.

Nicht die Natur ist inadäquat, die Konzerne können nur keine Profite machen, wenn sie sie nicht manipulieren" (/1/ 151).

Derselbe absichtliche Irrtum unterläuft der Gentechnik, die in Pflanzen eine "Schädlingsresistenz" einbauen will, obwohl die natürliche Schädlingsbekämpfung nie durch die einzelne Pflanze geschieht, sondern im Gesamtsystem der Ökologie gewährleistet ist.

Die sog. "Grüne Revolution" (die Einführung von gezüchteten Hybrid-Pflanzen zwecks Ertragssteigerung ohne Berücksichtigung der örtlichen Ökologie und Bedürfnisse) führte zu einer Entwertung ökologischer Produktionsweisen, zu einer Entwertung der Arbeit und des Wissens der Frauen. In Europa fand durch die Hexenverfolgung eine Zerstörung der diesbezüglichen Kulturen statt - heutzutage finden in Indien massenhafte Kinds- und Fötustötungen statt, um die "überflüssigen" Frauen zu beseitigen. Im Vergleich zur Population in Afrika fehlen in Indien 30 Millionen Frauen!

Auffällig ist auch, daß die Gebiete, in denen derartige "Entwicklungs-"programme vorwiegend stattfanden, heute diejenigen sind, in denen der soziale und politische Sprengstoff am größten ist (z.B. Punjab).

Die Ursache dafür sind nun nicht nur Erkenntnis-Irrtümer einzelner blinder Wissenschaftler, sondern strukturell im herrschenden Weltwirtschaftssystem verankert.

Es wird unübersehbar, daß der Kapitalismus nicht auf das Verhältnis Lohn-Arbeit - Kapital reduzierbar ist. Der größte Teil des Lebens-Notwendigen wird nicht in Lohn-Arbeit erzeugt und erscheint weder als "Wert" noch als "Bruttosozialprodukt".

Weltweit leisten Frauen 2/3 aller Arbeit, erhalten aber nur 1/10 des Welteinkommens und kontrollieren nur 1/100 der Produktionsmittel (UNO-Angaben).

Ausbeutung wird bestimmt als "Aneignung unbezahlter Mehrarbeit". Dies geschieht nicht nur im Lohnarbeitsverhältnis.

"Lohnarbeit wird ein Privileg für weltweit immer weniger Menschen" (/5/ 78,118)

Sogar in den kapitalistischen Zentren wird die Warenproduktion ohne Lohnarbeit verstärkt.

Strukturelle Massenarbeitslosigkeit zeigt an, daß immer weniger Menschen die notwendigen Werte in Lohnarbeit erzeugen - aber auch, daß mit Anwendung moderner Technologien eigentlich immer weniger Arbeit zur Erzeugung des Notwendigen notwendig wäre. Dies wird aber nicht in freie Zeit, den "wirklichen Reichtum der Menschen" (Marx) umgesetzt, sondern sogar die von dieser Lohn-Arbeit freigesetzten Menschen werden bis in die letzte Pore dazu benutzt, weiter Kapital (für andere) zu akkumulieren. Privilegierte schaffen den Sprung in eine Art Selbst-Ständigkeit. Der "boomende" Kapitalismus in Südostasien beruht dagegen sogar eher auf "militärisch organisierter Arbeit in Kasernen der sogenannten Weltmarktfabriken und freien Produktionszonen" (/5/ 115).

Bereits Rosa Luxemburg hatte erkannt, daß die "ursprünglichen Akkumulation" weitergeführt wird. Sie sieht die Kapitalakkumulation als Prozeß des Stoffwechsels, der sich zwischen den kapitalistischen und vorkapitalistischen Produktionsweisen vollzieht (Zitat in /5/ 41).

"Der Kapitalismus als Prozeß, der von Anfang an global ausgerichtet war und die Unterwerfung und Ausbeutung aller Menschen und nicht nur der Lohnarbeiter als Produzenten anvisierte" (/5/ 25).

Heute werden die Frauen der Dritten Welt nicht mehr gleich in Fabriken gesteckt, sondern sie erhalten scheinbar wohlwollend "Hausfrauenkredite", die sie von gleichzeitig zugeteilten Hühnern, dazu passendem Futter und unsicheren Absatzmärkten abhängig machen (siehe /5/).

3. Politische Konsequenzen

Es zeigt sich, daß die alleinige Änderung der Besitzverhältnisse und die "In-Besitznahme" der ökonomischen Entscheidungsfindung noch nicht ausreicht für eine Befreiung der Menschen bei den gegebenen Notwendigkeiten und Möglichkeiten.

Es kommt nicht nur darauf an, die kapitalistische Ökonomie abzuschaffen und eine neue einzuführen, sondern die (chrematistische) Wert-Ökonomie selbst darf nicht mehr zentral sein für die Vergesellschaftung.

Die ökofeministische Debatte dürfte hilfreich sein bei der Vertiefung der Debatte um die Rolle der Natur in und außerhalb der Ökonomie und der Lebenspraxis.

Eine traditionelle "linke" Sicht reicht allein nicht aus.

Frauen können sich, im Gegensatz zur nichtmenschlichen Natur, aktiv wehren gegen ihre "In-Wert-Setzung", ihr "Überflüssig"-werden.

Die Rolle der Frauen braucht nicht überbetont zu werden. Es ist nicht die Weiblichkeit allein, vielleicht noch gegen das Männliche gerichtet, was die Rettung bringt.

Das sog. "weibliche Prinzip" verkörpert sich nicht ausschließlich in den Frauen, es ist das Prinzip der Aktivität und Kreativität in der Natur, in den Frauen und in den Männern.

"Obwohl sie (männlich und weiblich, Person und Natur, Purusa und Prakriti) verschieden sind, verbleiben sie dennoch als zwei Aspekte des Seins untrennbar in dialektischer Einheit verbunden"
(/1/ 65).

Die Frauen sind noch mehr als die äußere Natur nicht nur Opfer, nicht nur "Neben-Widerspruch" oder "noch-nicht-entwickelt", sondern selbst aktiv und schöpferisch.

Wenn die Ökofeministin als Ziel angibt die "Humanisierung von Natur und Naturhaftmachung von Gesellschaft" (/1/ 54), so trifft sie sich mit der marxistischen Aufgabe des gleichzeitig durchgeführten Humanismus der Natur und des Naturalismus des Menschen. Der unorganischen Leib des Menschen wird einem menschlicher Sinn entsprechend (der gerade nicht nur ökonomischer Wert ist!) gestaltet. Und nur in dem Maße, in dem die Vermenschlichung der Natur gelingt, kann der Mensch seinen Naturanlagen gemäß seine eigene Natur produzieren (I.Schmidt /3/ 15).

Dabei geht es also nicht nur um ein Zurück zur "idyllischen Vergangenheit", sondern vorwärts zu neuen Ufern! Auch in den indischen Gemeinschaften vollzog sich eine Entwicklung und kann sich wieder vollziehen. Z.B. führt gerade auch der Kampf einer Dorfbevölkerung, die sich im Kampf gegen die Abholzung vereinigt hat zur Entwicklung neuer, gemeinschaftlicher Kampf- und Lebensformen (Frauen organisieren Schutzpatroullien, die Haus- und weitere Arbeit dieser Frauen wird von anderen gemeinschaftlich mit übernommen neue Formen der Arbeitsorganisation und Lebenskultur).

Diese wieder neu herzustellende Einheit von Menschen und Natur in Form der schöpferischen Pakrati ist keine esoterische Abstraktion, sondern ein Alltagsbegriff und Gestaltungsprinzip des gewöhnlichen Lebens (/1/ 54). Reine Esoterik-Bemühungen werden ihre Akteure und die Welt also nicht retten.




/1/ Shiva Vandana: Das Geschlecht des Lebens, Berlin 1989

/2/ Die Praxis und das Begreifen der Praxis. Vorträge einer interdisziplinären Arbeitstagung vom 20. -23. Juni 1984, Kasseler Philosophische Schriften 13, 1985

/3/ Eidam, H., Schmied-Kowarzik, W.: Natur - Ökonomik - Dialektik. Kasseler Philosophische Schriften 26, Kassel 1989

/4/ Immler, H., Schmied-Kowarzik, W.: Natur und Marxistische Werttheorie, Kassel 1988

/5/ Werlhof, C.v.: Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? München 1991



- 24.11.95 - Annette Schlemm

 

 

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