Casino-Kapitalismus

In der Gegenwart die maßgeblichen, großen Unternehmen heute oft nicht mehr in erster Linie Produktionsstätten, sondern "Banken mit angeschlossener Elektroabteilung" – wie der SIEMENS-Konzern mit 24 Milliarden DM flüssiger Gelder. Die Rationalisierungen der letzten Jahre (Massenarbeitslosigkeit!) ließen die liquiden Mittel der bundesdeutschen Unternehmen von 361 Milliarden DM im Jahre 1980 auf 800 Milliarden DM im Jahr 1992 wachsen. Die Finanzanlagen der französischen Unternehmen überstiegen z.B. 1994 den Wert der Sachanlagen (Duclos 1997, S. 10).

 

Nur noch 5% des Devisenhandels ist von Handelstransaktionen motiviert (Szameitat 1998, S. 15).

Im Vergleich zum Export, für den täglich 10 Milliarden US$ aufgewendet werden, werden insgesamt auf den Weltwährungsmärkten mehr als 1 000 Milliarden Dollar umgesetzt (Altvater, Mahnkopf 1997, S. 131).

 

Der gegenwärtige technologische Wandel schluckt nicht alles vorhandene Kapital. In der Finanzwelt vagabundieren Kapitale als Gewinne, liquide Mittel aus Abschreibungen und von Banken sowie Versicherungs- und Pensionsfonds. Die Aktionen zur Gewinnerzielung haben i.a. kaum noch etwas mit den Produktionsprozessen zu tun, sondern Unternehmen werden u.a. aufgekauft, "ausgeschlachtet" und dann wieder verkauft etc.

Die Rendite bei Derivatgeschäften)1 beträgt um die 25%, während in der Produktion lediglich ca. 10% erreicht werden. Deshalb realisieren deutsche Banken inzwischen fast das zweifache ihres normalen Bankgeschäfts in Derivaten, amerikanische bis zum Zehnfachen (Richter 1997). Davon profitieren letztlich lediglich ca. 50 Finanzunternehmen weltweit!

Dies führt dazu, daß auch nationale Notenbanken oft zu "Gefangenen der Märkte" werden und alle Verluste auf die Volkswirtschaften abgewälzt werden. Waigels Staatssekretär Stark sagte in Bezug auf die Mexikanische Krise:" Das ist ja Spekulation auf Staatskosten." (nach Schmidt 1995, S. 7) Obwohl die Schulden oft auch als "virtuelles Kapital" bezeichnet werden, haben sie doch sehr reale Wirkungen für die Schuldner wie auch die Nutznießer (es bringt durchaus reale Zinsen...).

Oft wird davon gesprochen, daß sich die Finanzwelt völlig von der Welt der materiellen Produktion entkoppelt hätte. Dies stimmt so aber nicht. Es trifft die reale Produktion durchaus, daß sie inzwischen mit den 25%-Profiten der Finanzgeschäfte konkurrieren muß. Dies zeigte sich in der Orientierung auf "Shareholder Value", wo nicht mehr der Gewinn eines Unternehmens und seiner Bereiche entscheidend ist, sondern nur noch der Vergleich mit den entsprechenden Börsenkursen.

Die scheinbar nur spekulativ erzeugten Vermögens"blasen" sind außerdem ein Ausdruck realer Überproduktion (gegenüber dem bezahlbaren "Bedarf", was wenig mit den Bedürfnissen zu tun haben braucht). Erst einmal ist vorhandenes Kapital reales Kapital. "Werte" haben nicht unbedingt etwas damit zu tun, ob es für jemanden "wertvoll ist, sondern repräsentieren gesellschaftliche Verhältnisse, welche auf Grundlage der gegenseitigen Isolierung der "voneinander unabhängig betriebnen Privatarbeiten" (Marx 1967, S. 87) das quantitative Äquivalentsetzen qualitativ unterschiedlicher Arbeitsprodukte ermöglichen. Insofern sind auch börsenspekulativ entstandene Mehrwerte)2, die zu Kapital werden, reale "Werte".

Vorhandenes Kapital)3 heckt auf jeden Fall weiteres Kapital. Es unterwirft sich die Gesellschaft, indem ihre Akteure in die "Sachzwänge" der Rentabilität und Effektivität eingebunden werden (was alle mit der ersten Schulung in Volkswirtschaftslehre eingetrichtert bekommen) und erzwingt auf diese Weise, daß alle Reproduktionsmechanismen diesem Diktat unterworfen werden. Sobald z.B. ein Mensch bzw. ein Unternehmen oder ein Land Kredite aufgenommen hat, muß es die geforderten Zinsen erwirtschaften - sobald man (z.B. wegen Arbeitsplätzen) um Investitionen bittet (wie die Gebiete der Ex-DDR oder die anderen osteuropäischen Länder), bekommt man diese nur, wenn die eingesetzten Kapitale genügend Profit bringen ("Das Kapital ist scheu wie ein Reh" - hörten wir dazu von Anfang an). Auf diese Weise verkaufen die jeweiligen Schuldner ihr privates oder gemeinschaftliches oder nationales Arbeitsvermögen u.U. auf Generationen hinaus - diese durchaus realen Schulden stehen den scheinbar nur "aufgeblasenen" Vermögen gegenüber und werden auch real eingefordert (IWF, Weltbank).

Wenn das Kapital nun in der Produktion schon überhaupt keine ausreichende Profitabilität findet (wegen der Überproduktion)4)- dagegen in der Finanzsphäre eine größere Rendite erwarten kann, wird es sich natürlich dahin begeben.

Auch die Spekulationsprozesse beziehen sich, wenn auch kaum noch erkennbar, auf "Optionen von Optionen von Optionen" von Erwartungen auf letztlich reale Produktionsprozesse. Daß sie platzen (nicht immer, aber immer öfter....), hat weniger Folgen für die (meist) privaten Vermögensbesitzer, aber sehr wohl entscheidende für die Schuldner (die i.a. über Staatsschulden laufen). Deutlich wird dieser stark verdeckte Zusammenhang spätestens, wenn es zu Krisen kommt, wie 1997 in Asien.

Real durchgesetzt werden die Vermögensgutschriften allemal – gegenüber den Schuldern. Dies trifft die Länder, die durch den Internationalen Währungsfond so "zurechtstrukturiert" werden, daß die letzten Ressourcen und immer mehr Arbeitsleistungen herausgepreßt werden, aber auch mehr und mehr die bisher besser gestellten Nichtvermögensbesitzer in den Industrieländern.

 

Der Euro schafft das Währungsrisiko für die Konzerne ab und fördert so die Konkurrenz der Regionen, die mit möglichst niedrigen Löhnen, sozialen Absicherungen und Umweltstandards ausgetragen wird (Höhner 1997, S. 9).

 

Letztlich zeigt sich hier das Wesen der kapitalistischen Profiterzeugung: Die Produktion von Gütern zur Bedürfnisbefriedigung erfolgt quasi nur "nebenbei". Erstens geht es auch dann nur um den zahlungskräftigen "Bedarf". Und zweitens wird inzwischen nicht nur vergangene und gegenwärtige lebendige Arbeit ausgebeutet und ihr Mehrwert in Profit umgesetzt, sondern für die Profitbildung wird (über Finanz"innovationen") zukünftige Arbeit "beliehen".

"Jedes Baby der BRD kommt heute mit gigantischer Staatsverschuldung auf die Welt. Und so ist ihr Leben nicht mehr als ein Kredit auf Ratenabzahlung. (A.Gödde)."

 

Allerdings ist diese Beleihung erst einmal nur ein Rechtstitel – der allerdings in den gegenwärtigen politischen Bedingungen auch zur Verfügungsgewalt umgewandelt wird, indem z.B. durch die Strukturanpassungsmaßnahmen des IFW in Schuldnerländern deren reale Ökonomie den Funktionsbedingungen der Profitwirtschaft bedingungslos unterworfen wird (vgl. Altvater, Mahnkopf 1997, S. 194).

Der IWF verlangte z.B. von Jamaika eine 300%ige Abwertung, eine Zinsrate von 40% und Entlassungen im öffentlichen Dienst. 1986 war das Land auf den Entwicklungsstand von 1972 zurückgefallen.

 

 

)1 Derivate: Wetten auf die Devisenentwicklung und Aktienindizes, deren Motiv vorwiegend nicht mehr die Risikoabsicherung ist, sondern die Erzielung von maximalem Gewinn

)2 Innerhalb der Arbeitswerttheorie muß man dann ergänzen, daß in diesem Fall die Tätigkeit der Makler und "Spekulanten" ebenfalls mehrwertzusetzende Arbeit bedeutet. Konkret betrachtet erweist sich jedoch das (potentielle oder bereits eingesetzte) Arbeitspotential der jeweiligen realen Schuldner als mehrwerterzeugende Arbeit, die Makler vermitteln dies nur und z.B. die IWF-Forderungen nach den Crashs setzen ihren Einsatz schließlich zwangsweise durch. Hier wird zukünftige lebendige Arbeit in Mehrwert umgesetzt

)3 Kapital ist "mehrwertheckender Wert" und die "Sachzwänge", daß alle "Investitionen sich rentieren" müssen etc., sind nur bestätigende Umschreibungen dieser marxistischen Erkenntnis

)4 "Überproduktion" meint hier nicht etwa nur die Produktion überflüssiger Wegwerfgüter - sondern lediglich, daß die Zahlungskraft für eine Nachfrage (die mit Bedürfnissen wenig zu tun haben muß) nicht ausreicht, die produzierten Güter profitabel umzusetzen. Inzwischen ist neben dieser relativen Überproduktion allerdings oft auch eine absolute - weit über die Bedürfnisse hinausgehende - realisiert (Schönamsgruber 1998).

 


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