Die Begriffe des Begriffs

Während ich in einer früheren Arbeit vor allem die Unterschiede zwischen der Hegelschen und der Blochschen Philosophie darstellte (Schlemm 1999), möchte ich nun darauf hinweisen, dass der Unterschied sich nicht als Gegensatz verhärtet, sondern auf gemeinsame Grundstrukturen des Denkens Bezug nimmt.

Menschliches Erkennen zielt nicht nur darauf ab, eine Kopie der unmittelbaren Erscheinungen zu erzeugen, sondern die Vielfalt der Welt in ihren Zusammenhängen und ihrer Entwicklung zu begreifen. Begreifen ist mehr als nur etikettierende Worte für bestimmte Objekte oder Erscheinungen zu definieren und zu sammeln. Ein Begriff ist deshalb mehr als eine Beschreibung oder Definition. Begreifen zielt auf die Möglichkeit, in die Prozesse eingreifen zu können, auf Praxis. Begriffe sind jene Worte, mit denen die Bewegung und Bewegbarkeit der Dinge erfasst werden kann.

Verschiedene Begriffe von "Begriff"

Schauen wir einmal genauer auf die Bezeichnungen, die derjenigen des Begriffs ähnlich und verwandt sind.

Da haben wir den Terminus, der als beschreibendes Wort oder Fachausdruck einer Wissenschaft bekannt ist. Seine Bedeutung wird über Konventionen durch Definitionen festgelegt. Es werden z.B. folgende Definitionsformen unterschieden:

  • Verbaldefinition: aus sprachlich-etymologischer Herkunft
  • Realdefinition: Aufweisung geeigneter Gegenstände als Beispiele.
  • Nominaldefinition: einen Begriff auf andere zurückführen, wenn ein Begriffssystem schon vorhanden ist (Gattungsbegriff + Besonderheit)

Dabei gibt es folgende grundlegende Unterscheidung:

a) Extension: Klasse aller Dinge, auf die der Terminus zutrifft (Quine 1969, S. 182). Wenn z.B. gefragt wird: "Was ist schön?" so wäre hier als Antwort eine Aufzählung schöner Dinge verlangt (vgl. Tugendhat, Wolf 1983, S. 129 nach Platon).

b) Intension (früher comprehension): Hier wird nach der inhaltlichen Bedeutung gefragt (vgl. Tugendhat, Wolf 1983, S. 133) - also in unserem Beispiel der inhaltlichen Bedeutung des Schönseins.

Solch eine benennbare inhaltliche Bedeutung kommt i.a. nicht nur einem Objekt zu, sondern ist mehreren Objekten gemein. Wenn auf etwas Allgemeines, Generelles gezielt wird, ist der Terminus nicht nur die Bezeichnung eventuell nur eines Objekts, sondern wird zum Begriff (vgl. Kant 1800, I,1 §1; Hoffmeister 1955, S. 107).

Das Wort "Begriff’" bezog sich im deutschen Sprachgebrauch erst allgemein auf "Umfang, Bezirk", seit der Mystik bezieht es sich auf den Umfang und Inhalt einer Vorstellung (Mackensen 1985, S. 64). Allerdings wurde bald klar, dass das Allgemeine gerade nicht vorstellbar ist (Berkeley, Husserl, vgl. Tugendhat, Wolf 1985, S. 134f.), sondern nur gedacht werden kann.

In der formalen Logik sind die Begriffe jene idealen Gegenstände, die als Subjekt von Urteilen durch Prädikate bestimmt werden.

Die Fachbegriffe der Philosophie werden oft auch "Kategorien" genannt, sie bezeichnen im engeren Sinne seit Kant spezielle Begriffe, nämlich jene, die aller Erfahrung vorausgehen und entsprechend derer wir alle Erfahrungen ordnen.

Ob Begriffe nur subjektive Konstruktionen sind, oder selbst etwas mit der realen Welt zu tun haben, ist seit eh und je ein Streitpunkt, und wurde u.a. im Universalienstreit verhandelt. Die Übersetzung "Begriff" von "conceptus" zeugt von der konzeptualistischen Annahme, dass die Universalien nur in der Abstraktion des Denkens vorhanden seien.

Im Marxismus wurden die Begriffe betrachtet als "Widerspiegelungsform, die ihren Ursprung letztlich in der objektiven Realität haben... entsprechend den jeweiligen kognitiven und kommunikativen menschlichen Zielstellungen gebildet" werden. (Liebscher 1996, S. 113)

Diese Vorstellung beruhte auf der Hegelschen Philosophie, wie sich an einigen Hinweisen und der Arbeitsweise der "Klassiker" nachweisen lässt:

Hegel selbst spricht davon, dass der Begriff einer Sache "das in ihr selbst Allgemeine" (Hegel WdL II, S. 26) ist. Das bedeutet nach Engels: "Definitionen sind für die Wissenschaft wertlos, weil stets unzulänglich. Die einzig reelle Definition ist die Entwicklung der Sache selbst, und diese ist aber keine Definition mehr. Um zu wissen und zu zeigen, was das Leben ist, müssen wir alle Formen des Lebens untersuchen und im Zusammenhang darstellen." (Engels, MEW 20, S. 578)

Die Begriffsbildung muß nach Marx auf dem Wege des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten geschehen:

"Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung vieler Bestimmungen, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist." (Marx: MEW 42, S. 35).

Weder das geistig-Konkrete noch die objektive Realität sind abgeschlossen und abschließbar:

"Es versteht sich ja von selbst, dass da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen Beziehungen nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden, auch ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, ebenfalls der Veränderung und Umbildung unterworfen sind." (Engels, MEW 25, S. 20).

Hegels Begriffssystem

Schauen wir einmal zurück zu Hegels Begriffssystem. Hegel verwirft von Anfang an jene "wesenlosen Abstraktionen", die Bestimmtheiten beliebig fixieren (Hegel NR, S. 105f.) und der Empirie mit ihren eigenen, "anderen Bestimmtheiten [...], welche in ihrem Wesen ein Ganzes, organisch und lebendig ist." (ebd., S. 107) nicht entsprechen. Hegel steht vor der Situation, dass "sich für die Logik des Begriffs ein völlig fertiges und festgewordenes, man kann sagen verknöchertes Material vorfindet und die Aufgabe darin besteht, dasselbe in Flüssigkeit zu bringen und den lebendigen Begriff in solchem toten Stoffe wieder zu entzünden." (Hegel WdL II, S. 243).

In Hegels eigenem System finden wir den "Begriff" an mehreren Stellen seines Systems: Hegel unterscheidet in seiner "Wissenschaft der Logik" die objektive und die subjektive Logik und hierin in der objektiven Logik die Lehre vom Sein und vom Wesen sowie in der subjektiven Logik die Lehre vom Begriff. Diese Zuordnung von Objektivität und Subjektivität lässt er später fallen und in der Enzyklopädie unterscheidet er die Lehre vom Sein, die Lehre vom Wesen und die Lehre vom Begriff, wobei es innerhalb der letzteren nun einen subjektiven Begriff und ein Objekt gibt.

Erhalten bleibt die Triade: Sein – Wesen – Begriff. Dieses sind die Momente der Hegelschen Wissenschaft der Logik, die selbst ein Moment der übergeordneten Triade Wissenschaft der Logik – Naturphilosophie - Philosophie des Geistes darstellt.

Um beim Begriff zu bleiben: der umfassendste Terminus ist jener, der die Lehre vom Begriff innerhalb der Wissenschaft der Logik darstellt. Ich nenne ihn hier Begriff I. Innerhalb dieser Lehre vom Begriff existiert der subjektive Begriff (Begriff II), dem das Objekt und die Idee zugeordnet sind. Innerhalb des subjektiven Begriffs haben wir als Triade den "Begriff als solchen" (Begriff III), das Urteil und den Schluß vorliegen.

Die verschiedenen Begriffe des Begriffs bei Hegel haben folgende Bedeutung:

Begriff I:

Die Bedeutung des Begriffs I erschließt sich aus der Triade, in der es sich befindet. Der Weg vom Sein über das Wesen zum Begriff I ist als "Rückgang in den Grund" (WdL I, S. 70) zu verstehen. Wir erleben die Fortschritte der Begriffsentwicklung (innerhalb jeder Triade) auf folgende Weise: der zuerst unmittelbar und statisch mit sich identische Inhalt (Dreieck links unten) wird durch das Mannigfaltige um und in (Dreieck rechts unten) sich negiert – woraufhin er sich (Negation der Negation) als in sich differenziert und nach außen vielfältig wechselwirkend selbst als konkreter und entwickelter erweist (Dreieck oben). Der Fortschritt setzt den später entfalteten Grund bereits voraus. Dieser macht auch die Negation zur bestimmten, nicht zur willkürlich-beliebigen. Der Begriff ist die Negation der Negation des Seins, also "das wiederhergestellte Sein, aber als die unendliche Vermittlung [...] in sich selbst" (WdL II, S. 269).

Der Begriff enthält alle früheren Bestimmungen als aufgehoben in sich und damit "unendliche, schöpferische Form, welche die Fülle alles Inhalts in sich beschließt und zugleich aus sich entlässt" (Enz.I, S. 307, § 160). Der Begriff ist deshalb

  • jener Grund, aus der sich alle Bestimmtheiten begründen lassen,
  • konkret
  • sich entwickelnd.

Der Begriff ist selbst Subjekt seiner Entwicklung. Diese Entwicklung verläuft von der formellen Abstraktion hin zur Realität. Diese Realität ist aber nicht jene "fertige, ihm gegenüber gefundene" Realität (WdL II, S. 264), sondern jene der Idee (siehe dazu noch einmal weiter unten).

Das Ziel der Logik ist es, dass (als Idee) "das Sein als reiner Begriff an sich selbst und der reine Begriff als das wahrhafte Sein gewusst wird" (WdL I, S. 57). Damit bewegt sich Hegel ganz auf der Linie der seit Schelling angestrebten Identitätsphilosophie. Diese ist – wie bei Schelling auch – nur erreichbar, wenn die Zufälligkeiten der zeitlich-historischen Evolution unbeachtet bleiben, d.h. wenn die unbestimmten Negationen in diesem Bereich nicht Gegenstand werden (vgl. zum Problem des Logischen und Historischen Schlemm 2002). Auch innerhalb des Logischen ist bis zur erreichten Identität ein langer Weg der Entwicklung der Begrifflichkeit zurückzulegen. Jene Momente, die als Stufen zum Ergebnis führen, verschwinden bei Hegel nicht, sondern bleiben aufgehoben in der konkreten Mannigfaltigkeit der Totalität des Begriffs I. Zu ihnen gehört der subjektive Begriff II (neben der Objektivität und der Idee).

Begriff II – subjektiver Begriff:

Der subjektive Begriff wird unterschieden vom Objekt, der "die Sache selbst" (WdL I, S. 25), wobei Hegel unter der "Sache" jene Objekte versteht, die ihrem Begriff gleich sind. (Spätestens hier wird das historisch Kontingente als außerhalb der Betrachtung liegend ausgeschlossen). Das Subjektive jedoch soll "unser eigenstes, innerliches Tun" (ebd.) sein. Vorausgesetzt ist, dass die Welt der Dinge – als Sachen betrachtet - eine Logik in sich birgt. Im subjektiven Begriff wird die "logische Natur, die den Geist beseelt..." (ebd., S. 27) zum Bewußtsein gebracht. Noch unterschiedem vom Objekt erscheint der Begriff als lediglich subjektiver, als bestimmter und nur formeller Begriff in der Sphäre des bloßen Verstandes (WdL II, S. 270f.).

Das Ergebnis ist im Wesentlichen die bekannte, in Systemform gebrachte formale Logik (Begriff als solcher – Urteil – Schluß). Allerdings wäre es nicht richtig, die entsprechenden Buchkapitel bei Hegel als übliche "formale Logik" abzuhaken, sondern es ist zu beachten, dass Hegels Denkbestimmungen"die Sache in sich walten lassen" (Enz. I, S. 80, § 23), die "Vernunft in der Welt, [...] das Innere der Welt" enthalten, d.h. "objektive Gedanken" (ebd, § 24) sind. Es "ist die wahre Objektivität des Denkens diese, dass die Gedanken nicht bloß unsere Gedanken, sondern zugleich das Ansich der Dinge und des Gegenständlichen überhaupt sind." (Enz.I, S. 116, § 42 Zusatz 2). Dies führt schließlich zur Vollendung der Logik des Begriffs in der Idee. Als Moment des subjektiven Moments dieser Idee haben wir jedoch noch einen eingeschränkten Begriffs-Begriff zu betrachten.

Begriff III – Begriff als solcher:

Die Momente des Begriffs I zeichnen sich dadurch aus, dass jedes ihrer Momente selbst ein Ganzes ist (Enz.I, S. 307, § 160). Deshalb bewahrt auch das untergeordnetste, kleinste Moment der Hegelschen Begriffsentwicklung den inneren Reichtum der triadischen Entwicklung und ist nicht auf eine ihrer Stufen zu reduzieren. Auch der "Begriff als solcher" ist nicht nur der abstrakte Begriff bzw. nicht nur der endliche Begriff.

Jene Termini, die in den Fachwissenschaften verwendet werden, kennzeichnet Hegel als "endliche Begriffe" (Enz.I, S. 15). Sie sind Ergebnis der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung des Verstandes, haben aber "keine Vermittlung mit der Wahrheit" (ebd., S. 15-16), wie sie Hegel anstrebt. Aber die formale Logik auf der Stufe des nur subjektiven Begriffs kann keine wirkliche Identität des Subjektiven und Objektiven erreichen. In ihr ist der (objektive) Gegenstand vorausgesetzt und das nur subjektiv betrachtete Denken soll ihm entsprechen (vgl. Enz. I, S. 75, § 20 Zusatz). Das im Endlichen verhaftete Denken hört auf, "wo es mit seinem Anderen zusammenhängt" (Enz. I, S. 95, § 28 Zusatz). Dieses begrenzte Denken ist verständiges Denken, während sich vernünftiges Denken dadurch auszeichnet, dass "Vernunftgegenstände [...] durch solche endliche Prädikate nicht bestimmt werden (können)" (ebd, S. 96). Verständiges Denken hält einander entgegengesetzte Abstraktionen voneinander fest (Enz. I, S. 98f. § 3, vgl. auch ebd. S. 121f, § 45 Zusatz und S 169, § 80 Zusatz)) während vernünftiges Denken auf die Erkenntnis von Totalitäten zielt, die "dem Denken des in sich konkreten Allgemeinen angehören" (Enz I, S. 97, § 30, vgl. auch ebd., S. 137f, § 52 und § 52 Zusatz).

Der "Begriff als solcher" erschließt sich näher, wenn wir ihn als jenes Moment erkennen, das in Urteilen und im Schluß auftritt. Andy Blunden irrt sich, wenn er diesen Begriff als "abstrakten Begriff" versteht. Hegel erwähnt, dass abstrakte Bestimmungen, bei denen Gemeinschaftliches aus Vielem durch Weglassen des individuell Besondere betrachtet wird (Enz.I, S. 311, § 163 Zusatz 1) oft "bestimmte Begriffe" genannt werden – aber er betont, dass diese Bestimmungen "gerade vom Begriff abstrahieren" (Enz.I, S. 315, § 164). Der Platz des Abstrakten ist also, genau genommen, lediglich im Moment des besonderen Begriffs (das wäre ein Begriff IV) noch innerhalb der Triade des "Begriffs als solchem" (vgl. WdL II, S. 283).

In der Triade: Begriff als solcher – Urteil – Schluß haben wir folgende Entwicklung (aus der sich die Bedeutung des "Begriffs als solcher" erschließt):

Die erste Stufe ist wieder jene der Unmittelbarkeit: "Der Begriff ist das den Dingen selbst Innewohnende, wodurch sie das sind, was sie sind" (Enz.I, S. 318, § 167 Zusatz). Wenn wir in der nächsten Stufe diesen Gegenstand in seiner durch seinen Begriff gesetzten Bestimmtheit betrachten, legen wir ihm dieses oder jenes Prädikat zu – wir urteilen, wir bestimmen den Begriff. Dabei sind im Subjekt das Einzelne und im Prädikat das Allgemeine noch als voneinander getrennt gedacht. Ihre Einheit wird mit der Kopula "ist" noch auf abstrakte Weise gesetzt. "S ist P" – "das Einzelne ist das Allgemeine". Für den Übergang zum 3. Schritt wird vorausgesetzt, dass sich die Hegelschen "formale" Logik niemals nur auf subjektives Denken bezieht – sondern es wird vorausgesetzt, dass die Dinge selbst ein Urteil sind, d.h. "sie sind Einzelne, welche eine Allgemeinheit oder innere Natur in sich sind, oder ein Allgemeines, das vereinzelt ist" (Enz.I, S. 318f., § 167).

"Alle Dinge sind eine Gattung (ihre Bestimmung und Zweck) in einer einzelnen Wirklichkeit von einer besonderen Beschaffenheit; und ihre Endlichkeit ist, dass das Besondere derselben dem Allgemeinen gemäß sein kann oder auch nicht." (Enz. I, S. 331, § 179).

Diese Einheit ist im Urteil nur gesetzt – erst im Schluß begründet sie sich. Dies geschieht wieder nicht nur auf subjektive Weise – wie in der traditionellen formalen Logik - sondern das Einzelne bezieht sich durch seine Beschaffenheit auf sein Allgemeines, d.h. auf seinen Begriff (Enz.I, S. 333, § 181 Zusatz). Wir haben in dieser Beschaffenheit, der inhaltlichen Erfüllung der Kopula eine Vermittlung, die in Form des Schlusses dem Urteil zugrunde liegt.

Prinzipiell ist die Dialektik des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen Gegenstand der triadischen Entwicklung des "Begriffs als solchem". Für das Allgemeine-Einzelne- Besondere lauten die Formulierungen auf den unterschiedlichen Stufen beispielsweise: Urteil: "Das Einzelne ist ein Allgemeines" (Die Rose ist rot). Schluß: "Das Einzelne ist durch seine Besonderheit allgemein" (vgl. WdL II, S. 355).

Wir durchlaufen in Hegels System die verschiedenen Weisen des Aufeinander-Beziehens der drei Momente Allgemeines – Besonderes- Einzelnes, wobei sich auch das Verhältnis von Subjekt und Prädikat verändert.

Im Urteil ist das Subjekt nur abstrakt identisch mit seiner Bestimmung, dem Prädikat. Diese Abstraktheit wird zwar formal mit der Kopula "ist" ausgedrückt, meint aber inhaltlich bei Hegel auf dieser Stufe ein "noch nicht konkret identisch" (auch wenn Hegel dies nirgends so formuliert). Erst im Schluß vollendet sich die Bestimmung zur wahren Identität (von Subjekt und Objekt). Wir werden dieses "noch nicht" in der Philosophie Ernst Blochs wieder finden. Das Blochsche "S ist noch nicht P" kann im Übergang vom abstrakten Urteil zum konkreten Schluß angesiedelt werden. Solange das Prädikat nur ein abstrakt Allgemeines ist, ist es noch kein Begriff (vgl. WdL II, S. 268).

Was Bloch will mit seiner Umformulierung "S ist noch nicht P" eine Verflüssigung des Denkens erreichen. Hegel insistiert aus dem gleichen Grund auf der Überwindung des bloß verständigen Denkens (das bis zum Urteil reicht) in Richtung der Vernunft (im Schluß, vgl. WdL II, S. 352f.).

Blochs Begriffs-Konzept

Auch bei Ernst Bloch erhebt sich das Urteil aus dem nur-Unmittelbaren durch "Drehung aus dem Unmittelbaren durch logische Prädizidierung" (EM, S. 39). Bloch spricht vom "unbestimmten, leeren Es" (ebd.) und trifft sich hier mit Hegels erstaunlicher Diagnose, dass der Inhalt der sinnlichen Gewissheit der "abstrakteste(n) und ärmste(n) Wahrheit" entspricht (Phän., S. 69). Bevor aus den sinnlichen Gewissheiten "Hier", "jetzt" oder "dieses" ein eigenschaftsbehaftetes Ding wird, steht es als unbestimmtes "Es" vor uns. Dieses "Es" nennt Bloch "Ergriff", der erst dann zum Begriff wird, wenn er durch ein Prädikat bestimmt wird (d.h. in der Phänomelogie: wenn es als Ding mit Eigenschaften wahrgenommen wird). Innerhalb der logischen Entwicklung des Begriffs bei Hegel erkennen wir darin den "Begriff als solchen" wieder, der sich noch nicht zum Urteils-Begriff entwickelt hat.

Der Unterschied zwischen Hegel und Bloch besteht darin, dass Hegel die Bestimmung des Begriffs im Urteil als durch die folgende Entwicklung (Begriff als solcher – Urteil – Schluß dann weiter zur Objektivität und zur Idee) bereits vor-bestimmt annimmt, während Bloch hier grundsätzlich Raum für verschiedene Möglichkeiten lassen will. Das "Noch-nicht" bei Hegel ist bereits durch das vorausgesetzte Gesamtsystem (wobei der Begriff Hegels immer ein "sich entwickelnder" ist, siehe unten) gegeben, nur noch nicht bewusst geworden. Blochs "Noch-nicht" ist noch nicht vorhanden, durch nichts bestimmt, außer der Tatsache, dass es sich entwickeln wird. Bei Hegel ist der Entwurf, wohin das Noch-nicht sich entwickeln wird, bereits vorhanden – bei Bloch nicht. Allerdings stimmen beide wieder darin überein, dass es so etwas wie ein (relatives) Ziel durchaus gibt. Bei Hegel ist es – entsprechend dem Zeitgeist seiner Zeit – mit dem Wort "Gott" benannt – Bloch spricht von "Heimat". Wiederum recht verwandt klingt Blochs Darlegung: "Kategorien sind [...] Organisationsformen der bewegten Materie, worin sich das intensive Daß auf dem Wege zu seinem latent-substantiellen Was vermittelt." (Bloch LM, S. 216) Bloch spricht hier durchaus von einem Marsch zum Ziel (ebd., S. 252) und auch Cunico deutet die Blochsche Kategorienlehre als "Vorwegnahme der Prozessbewegung, des Weltexperiments bis zu seiner fernsten Adäquation, zu seiner stets nur andeutungsweise intendierbaren positiven Erfüllung, die eine nur mögliche, nicht garantierte, sogar wesentlich vereitelbare Verwirklichung von latenten Zielinhalten wäre." (Cunico 2001, S. 59).

Grundsätzlich schätzt Bloch Hegels Philosophie ungemein und betont, dass dessen System "ein Weltnetz, kein spanischer Stiefel" (SO, S. 172) ist. Kritisch vermerkt Bloch, dass in Hegels Dialektik alle "Faktizität in Notwendigkeit aufgelöst werden muß" (SO, S. 159). Demgegenüber verweist Bloch auf ein "unvermitteltes Daß, ein noch nicht zureichend bestimmter Intensitäts-Faktor diesseits wie jenseits der logisch-historischen Bestimmungs- und Objektivierungsversuche" (ebd, S. 172).

Der Unterschied zwischen Hegel und Bloch rührt wohl daher, dass Hegel von vornherein nur das Logische meint, Bloch aber das materiell-Historische nicht nur auf eine parallel laufende Verwirklichung des Logischen reduziert. Bloch formuliert das Problem, dass "Theorie ohne wechselwirkenden Praxisbezug [...] abstrakte Ideologie (bleibt), wirksam nur als Rechtfertigung des schlecht Bestehenden" (Bloch, EM, S. 65). Bloch erwähnt, dass bei Marx dem Theoretischen selbst ein Verwirklichungsdrang zugemessen ist (ebd.) – dass das Theoretische und das Praktische einander nicht äußerlich begegnen.

Hegels Idee

Hegel feiert die endlich übereingekommene Einheit von Subjektivem und Objektiven in dem höchsten Moment des Begriffs I, der Idee (Enz.I, S. 367, § 212): "...die Idee ist selbst die Dialektik, welche ewig das mit sich Identische von dem Differenten, das Subjektive von dem Objektiven, das Endliche von dem Unendlichen, die Seele von dem Leibe, ab- und unterscheidet und nur insofern ewige Schöpfung, ewige Lebendigkeit und ewiger Geist ist." (Enz. I, S. 371, § 214). Hegel erfaßt mit der Idee das Leben und das theoretische sowie praktische Erkennen. Durch das Übergreifen der Idee über alle ihre Formen erweist sich z.B. die unorganische Natur als an sich (d.h. der Möglichkeit nach) lebendig ( ebd., S. 375-376, § 219). Wir erleben hier wieder die typisch Hegelschen Übergänge: das nur-Lebendige wird negiert durch das Erkennende und das nur theoretisch Erkennende durch die praktisch Erkenntnis. Das beinahe letzte Wort ist nicht zufällig die "praktische Tätigkeit" (ebd., S. 378, § 225). Diese praktische Tätigkeit entspringt dem Wollen, welches jedoch nicht willkürlichen Einfällen entspringt, sondern selbst dem erkannten Wesen der Welt entspricht – die Vernunft der Welt enthält das vernünftige, wollende Handeln selbst. Bei Bloch finden wir den Ausdruck des "erkennenden Fortbildens" (EM, S. 60), der eben diese Dialektik ausdrückt. Hier ist für Hegel auch der notwendige Übergang in die Sozialphilosophie erreicht – praktische Tätigkeit ist gesellschaftliche Praxis, kein individuelles Tun.

Nicht in der Unterwerfung unter das "notwendig Gegebene" sieht Hegel den Sinn menschlichen Daseins, sondern darin, in Freiheit "diese seine objektive Welt in seiner Subjektivität und diese in jener" zu erkennen (WdL II, S. 271) und zu realisieren. Hegel dringt auf das Weiterschreiten in den Grund hinein. Vom Sein in dessen Begründung durch das Wesen und wiederum weiter in den Begriff. Der Grund wird dabei nicht enger oder starrer; nicht umsonst insistiert Hegel immer wieder auf die Einheit von Begriff und Freiheit. Als der tiefere Grund erweist sich der höchste Moment des Begriffs, die Idee. Wir können diese auch vergleichen mit Blochs "Vorschein". Freiheit erwächst aus der inneren Notwendigkeit des Begriffs, als "Verhältnisweise des Begriffs" (ebd., S. 246) – weil es das Eigene (das Gewollte) schon mit enthält und ihm nicht äußerlich gegenüber steht. Der gesellschaftliche Prozeß reproduziert die Einheit von Subjektivität und Objektivität immer wieder und auf diese Weise wird die Substanz zum Subjekt (ebd., S. 249), d.h. sie ist als Ursache ihrer selbst Freiheit, Selbständigkeit und Selbstbewusstsein. (ebd., S. 250)

"In dieser Vollendung, worin er in seiner Objektivität ebenso die Form der Freiheit hat, ist der adäquate Begriff die Idee." (WdL II, S. 271).

Auch Bloch entdeckt in der Idee das Verwandte: In der Maske der Idee stecke "manch entwicklungsgeschichtlich richtige Bestimmung, die erst der wahren Materie zukommt, dem Subjekt aller Veränderungen und ihren dialektischen Veränderungs-Zusammenhang erstmalig bezeichnet." (Bloch SO, S. 431)

Hegels System ist nie fertig oder abgeschlossen, weil es keinen Anfang und kein Ende hat. Es ist selbst denkend-tätiger Prozeß, denn kein Begriff hat eine Bedeutung ohne den Nachvollzug seiner gesamten Entwicklung und das Weitertreiben zu jeweils neuen Entwicklungen. Die Basis für dieses Weitertreiben besteht darin, "dass alles Wirkliche entgegengesetzte Bestimmungen in sich enthält und dass somit das Erkennen und näher das Begreifen eines Gegenstandes eben nur soviel heißt, sich dessen als einer konkreten Einheit entgegengesetzter Bestimmungen bewusst zu werden" (Enz. I, S. 128, § 48 Zusatz).

Dialektik ist bei Hegel bestimmt als "dies immanente Hinausgehen, worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich als das, was sie ist, nämlich als ihre Negation darstellt" (Enz.I, S. 172, § 81). Diese Entzweiung wird aufgehoben im Positiv-Vernünftigen (oder Spekulativem, von dem Hegel sich nicht scheut, es auch als Mystisches zu bezeichnen, weil es über den bloßen Verstand tatsächlich hinausgeht (Enz. I, S. 179, § 82 Zusatz)). Die vernünftige Einheit des im Verstand bloß Getrennten ist allem Erkennen bereits vorausgesetzt, sie leitet die Fortentwicklung auf bestimmte Weise. Auf diese Weise hat auch das Hegelsche System so etwas wie eine Entwurfsstruktur – entworfen wird immer der eigene Grund als Ziel der Fortentwicklung – "Heimat" wird es später Ernst Bloch nennen, "Gott" nannte es noch Hegel.

Beide Entwürfe – von Hegel und Bloch - gehen davon aus, dass das Ziel frei gewählt ist- trotzdem und gerade deshalb aber kein willkürlich-zufälliges Herumirren darstellt. Die bestimmte Negation bei Hegel zieht ihre Bestimmung aus dem zugrundeliegenden Ziel – der Einheit von Objektivem und Subjektivem. Die unbestimmte Negation bei Bloch bezieht sich auf die zeitliche Entwicklung – bewegt sich deshalb grundsätzlich in einer anderen Denksphäre als Hegels logisch ausgeführte bestimmte Negation.

Es ergibt sich, daß auch Hegels System, weil seine Erfüllung die lebendige Entwicklung ist, ebenfalls als Entwurfsstruktur entzifferbar ist. Da es nur die logisch notwendigen Übergänge enthält, verweigert es sich der historischen Möglichkeitsmannigfaltigkeit – die Bloch stärker betont. Denken wir uns jedoch "Heimat" als relatives Ziel auch der historisch möglichkeitsvariablen Entwicklung, so ist von daher durchaus auch an Notwendiges, notwendig zu Realisierendes zu denken.

Literatur:

Bloch, Ernst (SO)
: Subjekt – Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985
Bloch, Ernst (EM): Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1986
Bloch, Ernst (LM): Logos der Materie. Eine Logik im Werden. Aus dem Nachlaß 1923-1949. Hrsg. von G. Cunico. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000
Blunden, Andy: Webprojekt: Hegel by Hypertext. http://www.marxists.org/reference/archive/hegel/triads/subjectivity.htm
Cunico, Gerardo (2001): Logos der Materie. In: VorSchein Nr. 20/21. Jahrbuch der Ernst-Bloch-Assoziation. Berlin, Wien: Philo Verlagsgesellschaft mbH
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (NR): Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften. In: G.W.F. Hegel: Jenaer Kritische Schriften (II). Hamburg: Felix Meiner Verlag 1983
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (Phän): Phänomelogie des Geistes. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1988)
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (WdLI): Wissenschaft der Logik I. Auf d. Grdl. der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag (G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 5. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970)
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (WdLII): Wissenschaft der Logik II. Auf d. Grdl. der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag (i G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 6. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970)
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (Enz.I): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag ( G.W.F. Hegel: Werke in 20 Bänden. Band 8. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970).
Hoffmeister, Johannes (1955): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Hamburg: Felix Meiner
Kant, Immanuel (1800): Vorlesungen über Logik.
Liebscher, Heinz (1996): Stichwort "Begriff". In: Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch. Hrsg. v. Herbert Hörz u.a. Wiesbaden: Fourier-Verlag
MEW: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin: Dietz, 1956 ff.
Mackensen, Lutz (1985): Ursprung der Wörter. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Wiesbaden: VMA-Verlag
Schlemm, Annette (1999): Utopien nach den Bomben auf Jugoslawien? Philosophische Dialektik im Spannungsfeld zwischen militantem Pessimismus und militantem Optimismus. In: Naturwissenschaftliches Weltbild und Gesellschaftstheorie, Texte zur Philosophie, Heft 7, Leipzig 1999, S. 103-123. siehe auch Internet http://www.thur.de/philo/vortragdresden.htm .
Schlemm, Annette (2002): Das Problem des Verhältnisses Logisches-Historisches. In: Internet: http://www.thur.de/philo/hegel/hegel4.htm.
Tugendhat, Ernst; Wolf, Ursula (1983): Logisch-semantische Propädeutik. Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Quine, Willard v.O. (1969): Grundzüge der Logik. Frankfurt a.M: Suhrkamp


 

Zitate aus einer Logik-Vorlesung zum Begriff

 
Kai Froeb zum "Begriff bei Hegel" (1998)

 
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