Die Philosophie zu Markte tragen?

  

Beitrag für die Debatte in "Ethik und Sozialwissenschaften"
  von Annette Schlemm (April 1999)
 
(Die ((Klammern)) beziehen sich auf die entsprechenden Absätze im Hauptartikel von E. Ruschmann)

 

((1)) Das Thema Philosophische Beratung berührt unterschiedliche Themenkomplexe: Erstens stehe ich der Kommerzialisierung der Philosophischen Beratung skeptisch bis kritisch gegenüber. Zweitens möchte ich jedoch die inhaltlichen Orientierungen zur philosophischen Beratung durch E. Ruschmann im wesentlichen unterstützen.

((2)) Tatsächlich hat angesichts der immer komplexeren Zusammenhänge unseres Lebens der Beratungsbedarf im 20. Jahrhundert stark zugenommen ((4)). Gerade weil die Welt von vielfältigen Netzen struktureller Herrschaft durchzogen ist, braucht man Berater im Steuer- und Rechtsdschungel, Schuldner- und Anlageberatungen, psychiatrische und psychologische Beratungen und nun auch philosophische Beratungen. Es mag zwar scheinen, als könne sich Philosophie auf diese Weise wieder "unters Volk mischen", letztlich drängt sie sich aber nur auf den lukrativen Markt der Expertokratie. Der Marktplatz ist ja längst kein Ort menschlicher Kommunikation mehr, sondern dient der Gewinnerwirtschaftung in allen Bereichen. Die in Anm.3 angesprochene Demokratisierung der Beratung würde erfordern, daß die Beratungen öffentlich finanziert - oder als kostenloses Beitrag - allen Menschen zur Verfügung stehen, was jedoch derzeit völlig unrealistisch ist. Daß die philosophische Beratung sich erst erstaunlich spät in Form von Philosophischen Praxen zu professionalisieren begann ((6)), werte ich als positives Zeichen der Resistenz von Philosophie gegenüber der die Welt durchziehenden Kommerzialisierung. Irgendwie widerspricht sich das Bild eines mit der Geldtasche klimpernd über den Markt ziehenden Sokrates.

((3)) Da auch ich größtenteils eher als "freischaffende Wissenschaftlerin" arbeite, hat mich die Verlockung auch schon gestreift. Ich biete philosophische Gespräche im Tauschring von Jena an. Allerdings ganz bewußt unter der Rubrik "kostet nix". In Anspruch genommen wird diese Bereitschaft im alltäglichen Gespräch, bei der Einladung als Referentin oder Moderatorin durch Vereine und Freundeskreise, sogar am jeweiligen Arbeitsplatz. Meine Wirksamkeit geht durchaus so weit, daß sogar meine Arbeitgeber mitunter vergessen, daß ich gelernte Physikerin bin und sie mich anderen als Philosophin vorstellen. Auf diese Weise stehe ich der seminaristischen Form des Belehrenden recht fern - schon lange propagiere und moderiere ich lieber Zukunftswerkstätten (nach Jungk, Lutz /1/ u.a.) und Sokratische Gespräche (nach Nelson und Heckmann/2/).

((4)) Aus dieser Erfahrung heraus finde ich es wichtig, die in ((7)) angesprochene philosophische Geschultheit der Philosophischen Berater/innen in Bezug auf Kommunikation und Beziehung zu hinterfragen. Meiner Erfahrung nach sind allein durch ihren Beruf (Studienabschluß) Philosophen der Jetztzeit nicht bevorzugt mit diesen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet. Wie schon in ((13)) bemerkt, ist gerade die Herstellung des Praxisbezugs der Philosophie eine eigenständige Aufgabe der philosophisch aktiven Menschen, bei der die akademische Ausbildungsweise vielleicht sogar eher hinderlich ist. Hier sind menschliche Qualitäten gefragt, die das philosophische Seminar strukturell nicht vermitteln kann - die sich i.a. sogar "gegen den Strich" des akademischen Karrierismus in der Persönlichkeit ausprägen müssen.

((5)) Wenn es dann - kommerziell oder nicht - zum philosophischen Gespräch kommt, ist die Orientierung an der Weltsicht des Gegenübers ((16)) sehr berechtigt als Grundlage zu nehmen. Die Philosophie bekommt wieder "Ich"-Form. Ich denke, daß auch die "Berater" in solchen Gesprächen viel lernen können über den Lebensalltag der Menschen und ihre Weltsichten. Ihre eigene Philosophie wird dadurch umfassender, konkreter und reicher. Insofern sollte jeder Philosoph und jede Philosophin praktizieren. Hier wird es unterschiedliche Erfahrungen geben, je nachdem, ob man sich auf zahlende "Kundschaft" oder die "einfachen Leute" bezieht. Auch das eigene "Selbst- und Welterfassen" ((25)) wird sich dabei unterschiedlich modifizieren ((86)). Gute Beratungen ergeben sich meiner Erfahrung nach auch aus ganz "alltäglichen" Gesprächen. Nur wenn man auch als Mensch sowieso anerkannt ist, kann man dann ins Gespräch seine philosophische Kompetenz einbringen und sie hat die Chance, ihre Bedeutung zu erweisen.

((6)) Im philosophischen Nicht-Expertengespräch ist eine Vermittlung von der Meinung zum philosophischen Begriff notwendig. Hegels Ablehnung der Meinung als bloß "zufälligem Gedanken" ist innerphilosophisch in Ordnung - im Gespräch reicht diese Ablehnung nicht, sondern die Meinung muß verstanden werden als bedeutungshaltiges Denken des meinenden Menschen. Sie ist nicht gebunden an bewußte Begründbarkeit und nicht als notwendig nachgewiesen. Ihre Bedeutungen sind jedoch auch nicht beliebig, sondern verweisen auf die Beziehungen zwischen den Individuen und ihrer konkreten Umwelt/3/. So individuell auch die innere Wahrnehmung der Umwelt sein mag - ihr liegt unsere gemeinsame Welt und deren Prozesse zugrunde. Auf dieser Grundlage lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Meinungen herausarbeiten. Gemeinsamkeiten werden oft verwischt durch irreführende Verwendungen von Zeichen und Worten. Auch der Inhalt des unterschiedlich Gemeinten erschließt sich nicht einfach aus dem Gesagten. Bei der inhaltlichen Klärung hilft hier ein Rückgriff auf die Bedeutungshaftigkeit des Gesagten.

((7)) Um einen folgenlosen Relativismus zu vermeiden, bieten sich dann Sokratische Methoden der inneren Kritik des Gemeinten an. Die Hegelsche Entwicklung der Dialektik über das Wesen der Dinge, ihre Gesetze und der schließlichen Fortführung des Denkens in Richtung Begriff und dessen Entwicklung zur Idee kann meiner Erfahrung nach nur ansatzweise im philosophischen Gespräch umgesetzt werden - - hier zeigt sich besonders die notwendige Flexibilität und auch die Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der Ziele von Beratungsgespräch und philosophischer Forschung.

((8)) Nicht thematisiert wurde im Hauptartikel das allgemeine Beratungsproblem der Art und Weise von Handlungsorientierungen. Wenn es in der Philosophischen Beratung bevorzugt um die "Befähigung zur Anpassung" an das Vorhandene geht, wird der kritischen Intention vieler philosophischer Theorien und Konzepte nicht entsprochen. Geht es darüber hinaus, bekommt sie unmittelbar politische Bedeutung, auch wenn sie dies vielleicht scheut. Die Überschreitung des Theoretischen in der Beratung muß auch damit zurechtkommen, daß heute wohl keine Beratung mehr neutral sein kann. Jedes noch so "abstrakte" Erwägen von Gesichtspunkten hat im Hintergrund politisch ganz konkrete Meinungen auch der Berater. Ich muß zugeben, daß ich angesichts der aktuellen Weltlage nicht neutral beraten könnte, sondern meine Argumente gegen die NATO-Bomben vertreten würde.

((9)) In meinem Bekanntenkreis besteht übrigens der größte Beratungsbedarf bei den 14- bis 15jährigen jungen Leuten. Wenn sie Glück haben, begegnet ihnen ein philosophisch denkender Mensch, bevor sie im Ethikunterricht mit einer Schulphilosophie abgespeist werden, die leider eher abschreckt als interessiert (Dies liegt m.E. weniger an der Unfähigkeit der Lehrerschaft als strukturell in der Art und Weise, wie Schule erlebt wird). Ich selbst habe mit Bezügen zu der zufälligerweise sogar mit unserem Wohnort Jena verbundenen Klassischen Deutschen Philosophie hier gute Erfahrungen gemacht. Fichtes Auftrumpfen des Ichs gegenüber den starren Notwendigkeiten, die Freiheit als A und O aller Philosophie bei Schelling, die dialektische Denkweise von Hegel können das Interesse an Philosophie nachdrücklich speisen.

((10)) Als nichtakademische Philosophin profitiere ich selbst von den neuen Kommunikationsformen im Internet. Meine ca. 250 Webseiten regen täglich ca. 3 Personen an, mir eine Mail zu schreiben, aus denen sich viele eMail-Gespräche und manche persönliche Treffen ergeben. In diesen "Beratungen" lernen dann alle Beteiligten. Zwar sind nur wenige meiner Gesprächspartner von professoralem Rang - die Veröffentlichungen "zählen nicht" - aber die Wirksamkeit ist gegenüber der geringen Resonanz auf meine "richtigen" Bücher und Veröffentlichungen doch erstaunlich groß. Das Potential dieser Kommunikationsform ist von Philosophen nur wenig erkundet. Sie widerstrebt auch noch einer Kommerzialisierung in diesem Bereich.

((11)) So kritisch ich also der Kommerzialisierung gegenüberstehe, so sehr befürworte ich philosophische Gespräche in allen möglichen menschlichen Zusammenhängen. Die Eröffnung einer Philosophischen Praxis zum Verdienen des nötigen Geldes muß der Beibehaltung oder gar Verstärkung der allgemeinen öffentlichen Diskussionsteilnahme nicht entgegenstehen. Vielleicht können sich beide Tendenzen auch gegenseitig verstärken.

 

Anmerkungen:

/1/ vgl. Jungk. R./Müllert, N., Zukunftswerkstätten, München 1989; Lutz, R., (Hg.), Pläne für eine menschliche Zukunft, Weinheim, Basel 1988
/2/ vgl. u.a. Heckmann, G., Das sokratische Gespräch, 1980; Siebert, U., Das Sokratische Gespräch, Kassel 1996
/3/ Holzkamp, K., Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/ New York 1985, S, 92

 


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