1. Die Rolle von Technik

Das Technische als menschliches Handeln

Ohne Technik könnten menschliche Lebewesen nicht als Menschen leben. Wir nutzen natürliche Gegebenheiten nicht nur für unser biotisches Überleben, sondern gestalten sie aktiv um. Dazu nutzen wir Werkzeuge, die gegenständlich oder in Form ideelle Sachverhalte (Wissen, Software) ("Denkwerkzeuge") eine wichtige Grundlage dieser aktiven Tätigkeit sind. Obgleich Technik schon immer als etwas "Widernatürliches" gekennzeichnet wurde, ist die "menschliche Natur" dadurch bestimmt, mittels geeigneter, selbst hergestellter Instrumente und Verfahren gesetzte Zwecke zu erreichen. Als Technik sind nicht nur die verwendeten Werkzeuge und Instrumente zu betrachten, sondern sie ist jene Handlungsform, mit der "einheitlich die Beziehungen des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Umwelt in seinen wichtigsten Handlungszusammenhängen reguliert" werden (Krohn 1976, S. 43).

Gebundenheit des Technischen an spezifische gesellschaftliche Zwecke

Wir sprachen bisher nur von Technik als Mittel zur Erfüllung menschlicher Zwecke. Zwecke können jedoch innerhalb der gesellschaftlichen Organisation der Menschen weitab von konkreten Bedürfnislagen liegen und sich stark verschieben und verselbständigen.

J.S.Mill: "Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben."

K. Marx: "Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie die Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter fr sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, verlängert. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert." (Marx 1867, S. 391)

In der herrschenden Gesellschaftsform, in der jedes menschliche Handeln dem Prinzip: "Aus Geld mache mehr Geld" unterworfen ist (Kapitalismus), ist auch die Technik diesem Zweck unterworfen. Nur insoweit sie diesen Zweck unterstützt, wird sie genutzt und weiter entwickelt. Sie verstärkt deshalb die Kraft der herrschenden Prinzipien (hier also der Geldvermehrung) und erscheint selbst als herrschende Macht.

"Verschwiegen wird dabei, daß der Boden, auf dem die Technik Macht über die Gesellschaft gewinnt, die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft ist. Technische Rationalität ist heute die Rationalität der Herrschaft selbst." (Horkheimer, Adorno, S. 140)

Während der Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert noch von der Gewißheit und der Hoffnung geprägt war, die weitere Entwicklung der Technik würde der Menschheit unerhörten Fortschritt ermöglichen (was sie ja z.T. auch tat), hat sich am Ende des 20. Jahrhunderts Skepsis und mitunter harrsche Kritik an den Folgen der Unterordnung der Technik unter einseitige gesellschaftliche Zwecksetzungen eingebürgert. In ihrer herrschaftsstärkenden Funktion tritt uns die Technik als eine "Megamaschine" entgegen, die uns zu scheinbar hilflosen Zauberlehrlingen macht. Für modernste Technik kann fast nicht mehr mit Versprechen auf eine glücklichere Zukunft, sondern nur noch mit dem Versprechen, die gefährlichen globalen Probleme vielleicht eindämmen oder gar lösen zu können, geworben werden - wie die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover zeigt.

Überlegungen zu einem perspektivreichen Umgang mit Technik erfordern eine Gratwanderung: Einerseits böte eine Abkehr vom technologischen Weg, eine Reduktion der Komplexität der verwendeten Technik ("Zurück zur Natur") keine Perspektive. Ein Leben voll technikarmer Schufterei in Abhängigkeit von natürlichen Restriktionen wäre mit dem Verlust emanziptiver Möglichkeiten, von freier Zeit und (re-)produktionsfremder Selbstentfaltung verbunden. Andererseits ist nicht nur die Nutzung der vorhandenen Technik, sondern ihr Inhalt und ihre Struktur selbst tief geprägt von den kapitalistisch-einseitigen Zwecksetzungen der letzten Jahrzehnte. Diese Technik kann nicht einfach nur "übernommen" werden, sondern muß von Grund auf re-konstruiert werden.

Eine Fixierung auf das Technische, ohne die zwecksetzenden gesellschaftlichen Verhältnisse im Blick zu haben, würde jedoch Wesentliches ausblenden. Die Lösung der angestauten Probleme und neue Perspektiven menschlicher Entwicklung sind deshalb NICHT PRIMÄR aus der Technikentwicklung zu erhoffen. Aber eine ANDERE Technik gehört AUCH dazu.

Technik als Produktivkraftfaktor

Die Technik ist nur ein Element der Produktivkraftentwicklung. Es wird zwar versucht, lebendige Arbeit als Kostenfaktor zu minimieren. Dabei wird anstelle dieser lebendigen Arbeit Technik (als geronnene, d.h. vergegenständlichte frühere Arbeit) eingesetzt. Aber zur Konstruktion und Ingangsetzung dieser Technik ist der menschliche Faktor weiterhin wichtig - vor allem seine Intelligenz und Kreativität - weniger Körperkraft und Ausdauer. Naturprozesse und Werkzeuge/Mittel setzen sich nicht von allein ins Verhältnis - sondern letztere stammen in irgendeiner Form aus menschlicher Arbeit und sie brauchen Programmierung und startenden Befehl durch den arbeitenden Menschen.

Gleichzeitig sind jedoch auch die Menschen durch den historisch vorliegenden Stand der Produktivkraftentwicklung stark bestimmt. Grundlegend für die Art und Weise ihrer Entfaltung und/oder Behinderung ist der Charakter der Arbeit und dieser wird weitgehend von den technischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten geprägt. Fabrikarbeit mit Werkzeugmaschinen legt bspw. eine völlig andere Art der Arbeitsteilung und Vergesellschaftung nahe als handwerkliche oder Manufakturarbeit (ohne sie vollständig zu bestimmen).

"Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozeß seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen." (Marx 1867, S. 293)

Gegenwärtig wird die lange vorherrschende Art von Fabrikarbeit - nach vielerlei Umgestaltungen (Fließband, ...) über die Jahrzehnte hinweg - gerade abgeschafft und es werden neue Formen der Produktion eingeführt. Auch dies hat maßgebliche Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, leben und sich entwickeln können.

Vom "Fordismus" zum "Toyotismus"

Der Kapitalismus ermöglichte gerade durch die Aufhebung der engen, durchschaubaren Bindung von eingesetzten technischen Mitteln und unmittelbaren Produktionszwecken (in der Landwirtschaft und dem Handwerk) eine enorme eigenständige Entwicklung der Mittel in Form von Werkzeugmaschinen. Dies geschah vorwiegend durch die Trennung und Neukombination der Bestandteile industrieller Prozesse: Energie-, Prozeß- und Algorithmus-("Transmissionsmaschine")Übertragung (Meretz, Schlemm 2000). Der naturwissenschaftlich perfektionierte Gesamtprozeß wurde aus der Hand einzelner Arbeiter genommen, in großen Fabriken neu entsprechend ökonomischer Effizienzerfordernisse kombiniert. Menschen wurden zu "Rädchen" im Getriebe der großen Fließbänder, mechanische Ausführungsagenten der von Ingenieuren vorausgedachten Prozeßabläufe. Die dadurch ermöglichte Massenproduktion prägte ein ganzes Zeitalter - auch kulturell und sozial - der "Fordismus" beherrschte die fortschrittlichste Industrie der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Kulturell schienen neue, die einheitliche Massenkultur und den Massenkonsum durchbrechende Horizonte (1968!) schon eher auf als in der Produktionspraxis.

Erst in den 70er/80er Jahren dieses Jahrhunderts zeigen sich - nach erfolglosen Visionen, die Menschen in menschenleeren Fabriken (CIM: Computer Integrated Manufacturing) ganz aus der Produktion auszuschließen/ zu entlassen - neue Formen der Produktion. Die bisherige Automatisierung war recht starr, auf kontinuierliche Massenproduktion bezogen. Das entsprach weder den wachsenden Bedürfnissen noch Differenzierung (nach Befriedigung der ersten Massenbedarfe), noch den Erfordernissen der Firmen, jeweils gegenüber anderen neue Produktivitätsvorteile zu erlangen. Mit der Entwicklung von Systemtheorie, Kybernetik und den ersten Computern wurde es möglich, den Prozeßablauf (Algorithmus) nicht mehr nur gegenständlich in den Maschinenteilen einzuprogrammieren (Nocken etc.), sondern mit der Digitalisierung ermöglichte eine neue Softwareorientierung die Trennung von Prozeß- und Algorithmusmaschine. Dies ermöglicht eine neuartige Flexibilisierung der Produktion, damit eine Differenzierung der Produkte. Fließbandarbeit wird seitdem mehr und mehr ganz durch Roboter ersetzt, die noch arbeitenden Menschen arbeiten in Teams flexibel, mobil und zu einem großen Teil selbstverantwortlich, oft auch kreativ innerhalb der - global und überbetrieblich - neu vernetzten Produktionskomplexe.

Diese Wandlung der industriellen Arbeit wird getragen von dem, was ihr oft als "Informationsgesellschaft" gegenüber gestellt wird. Letztere schwebt aber nicht über und unabhängig von allem stofflich-energetisch-Gegenständlichen, sondern steht als eigenständiger Bereich im Zentrum der "materiellen" Produktion. Von diesem "Stand der Technik" müssen wir ausgehen, wenn wir über Perspektiven der menschlichen Entwicklung und den dabei nutzbaren Mitteln nachdenken.

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2. Aktuelles Möglichkeitsfeld

2.1. Technokratisch-neoliberale Konzepte

 


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