NGO
- von Jörg Bergstedt -

Der Begriff "NGO" (Non-governmental organization, deutsch NRO = Nicht-Regierungsorganisation) wurde im Zuge der Rio-Konferenz 1992 geprägt und schuf einen verbindenden Begriff für alle Organisationen, die nicht an der Regierung selbst beteiligt sind, aber dort bestimmte Interessen vertreten. Dazu gehören die Umweltverbände, die Gewerkschaften, Kirchen, alle Firmen und deren Zusammenschlüsse sowie viele mehr. Die Schaffung des Begriffes NGO ist nicht nur eine Bezeichnung für eine Organisationsform, sondern auch eine Denklogik. Diese zu beschreiben, ist Ziel dieses Papieres. Durch wird sichtbar, daß nicht die jeweilige Organisationsform, sondern eine bestimmte Handlungsstrategie das "NGO"-Dasein definiert. Es ist genauso denkbar, daß Massenverbände NGOs sind meist dann aber nur ihre Spitzenstrukturen oder bestimmte Teile -, ebenso können Organisationen, die nur über ein oder wenige Büros, aber keine Basis verfügen, und Institute NGOs sein. Denkbar ist, daß innerhalb von Verbänden verschiedene Stile existieren, also z.B. das Handeln als NGO und das Handeln in der Öffentlichkeit - fast immer ausgehend von verschiedenen Personen oder Gremien innerhalb der Organisation und weitgehend nebeneinander her.

Mit der Kritik am NGO-Stil sind folglich nicht die Verbände und Gruppen als solches, sondern eine bestimmte Strategie gemeint. Welchen Umfang NGO-Arbeit innerhalb dieser Organisationen jeweils hat, ist höchst unterschiedlich - allerdings ist er in den letzten Jahren erheblich angewachsen.

Die Kritik an den NGO-Strategien von Organisationen bedeutet auch eine an den Organisationen und den dort handelnden Personen selbst, da sie dafür verantwortlich sind.

1. Was ist NGO-mäßiges Handeln?

Auch wenn sie Nicht-Regierungsorganisationen heißen - die Strategie des Handelns als NGO ist auf die Regierungsstrukturen bezogen. NGOs machen ihre Strategien genau an den durch die offiziellen Strukturen vorgegebenen Möglichkeiten fest. Sie sind damit strategisch abhängig. NGO bedeutet das Gegenteil von selbstorganisiert, spontan, kreativ oder autonom.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, das eigene Handeln an den Vorgaben durch Regierungen sowie anderen Machtmechanismen (Markt, Konzerne usw.) auszurichten. Die wichtigsten seien im folgenden genannt. Es können je nach NGO mehrere und alle gleichzeitig zutreffen - das ist sogar eher der Normalfall.

1.1 Strukturen passend zu offiziellen Machtstrukturen

NGO-Arbeit bedeutet, die eigenen Ziele auf den gleichen Ebenen wie Regierungen und andere Machtstrukturen (Konzerne, Institutionen) zu verfolgen und für die eigene Aktivität neben der dauernden Lobbyarbeit vor allem die Anlässe und Beteiligungsmöglichkeiten zu nutzen, die von Seiten der Regierenden vorgegeben werden. NGOs haben dazu ihre hauptamtlichen Strukturen in den letzten Jahren stark verändert. Gefördert werden (außer zur Geldbeschaffung) kaum noch eigene Handlungsfelder, sondern die Lobbyarbeit, die dauernde Mitwirkung in Gremien, die direkten Kontakte zu Machtgremien und die dauernde Präsenz an den Orten der Machtausübung.

Zum einen haben die Massenverbände, z.B. BUND, NABU oder BBU, ihre Vorstands- und Bürostrukturen so umgebaut, daß nun vor allem Lobbyarbeit geschieht. Die verbandsinterne Arbeit, z.B. die Unterstützung von Basisstrukturen, ist weitgehend zurückgegangen oder findet gar nicht mehr statt (so verfügt der Ex-Basisgruppenverband BBU heute nicht einmal mehr über einen regelmäßigen Rundbrief zu seinen Basisgruppen, stattdessen verbringen die SpitzenfunktionärInnen immer mehr Zeit in Regierungsgremien).

Zum anderen sind neue Institutionen entstanden, die von vorneherein nicht mehr über eine Basis oder eigene Handlungsstrukturen verfügen, sondern nur noch aus Büros und Hauptamtlichen bestehen, die ausschließlich der Lobbyarbeit und Geldbeschaffung dienen (wobei das oft eng zusammenhängt).

1.2 Gier nach Posten

SpitzenfunktionärInnen in den NGOs zeichnen sich nicht mehr durch Erfahrungen in der Mobilisierung und Durchführung von Aktionen oder fachliches Know-How, sondern durch taktische Fähigkeiten bei der Lobbyarbeit aus. Damit geht den NGOs das personelle Potential verloren, überhaupt noch anders agieren zu können als NGO-mäßig.

Verbunden ist das mit einer Gier nach Posten. Das Erreichen der eigenen Ziele wird dadurch ermöglicht, daß immer einflußreichere Posten in den Regierungsapparaten angestrebt werden. NGO-FunktionärInnen bewerben sich um Leitungsposten in Gremien, rangeln um die Besetzung der Plätze in Gremien oder versuchen, selbst in Parlamente oder leitende Posten der Verwaltung vorzudringen. Um das zu erreichen, ist ihr Verhalten anbiedernd, denn mit aggressiven Aktionen und Positionen ist Karriere in Regierungsapparaten nicht machbar.

1.3 Aufbau von elitären Gremien

NGOs streben nicht nur nach Posten in Gremien, sondern kümmern sich auch selbst um den Aufbau neuer Gremien, in denen sie dann mit den Mächtigen zusammensitzen. Das reicht von der politischen Forderung nach besonderen Räten (Ökorat, Nachhaltigkeitsrat usw.) bis zu den massenhaft geschaffenen Gremien zur Agenda 21, in denen sich nicht etwa BürgerInnen engagieren, sondern vor allem die FunktionärInnen der NGOs - von Firmen bis zu Umweltverbänden. Diese Gremien schaffen eine neue Elite und definieren sich als Ergänzung der bestehenden Machtstrukturen, nicht aber als deren Gegengewicht oder gar Aktionsfeld, in dem auch Macht in Frage gestellt und mehr Beteiligungsrechte für die einzelnen Menschen eingefordert wird.

1.4 Finanzielle Abhängigkeiten

Ohne eigene Basis bzw. in weiter Ferne von ihr wachsen die finanziellen Abhängigkeiten. Viele NGOs finanzieren ihre Arbeit ganz oder zu großen Teilen aus öffentlichen Zuschüssen, d.h. aus Geldern genau der Regierungsstellen sowie zunehmend auch Konzerne, die sie über ihre Lobbyarbeit gleichzeitig für sich zu gewinnen suchen. Daraus entsteht ein offensichtlicher Interessenkonflikt.

Die Verbände können nicht mehr drohen - zum einen, weil sie keine Basis mehr mobilisieren können bzw. ihnen bereits das Know-How für öffentlichen Aktionen fehlt, zum anderen aber auch, weil sie damit ihre eigene finanzielle Absicherung gefährden würden.

1.5 Personelle Verflechtungen

Die Nähe zu den Regierenden, bewußt herbeigeführt, zieht direkte personelle Verflechtungen nach sich. Etliche SpitzenfunktionärInnen in den Umweltverbänden und auch anderen NGOs haben Parteibücher in der Tasche, verdienen ihr Geld in Staatsapparaten oder stehen vor Karrieresprüngen in Parlamente oder Verwaltung. Das beeinträchtigt die freien Entscheidungsmöglichkeiten der NGOs beträchtlich.

1.6 Teilnahme an der Macht

Die verschiedenen NGOs wollen gemeinsam eine zusätzliche politische Struktur innerhalb des parlamentarischen Systems sein. Einzelne Vorschläge, z.B. im Öko-Vordenker-Blatt "Politische Ökologie", gehen soweit, neben Bundestag und Bundesrat eine Dritte Kammer für die NROs schaffen zu wollen. Die Umweltverbände säßen dann plötzlich mit der Industrie, dem ADAC und anderen in einem Boot. Dieses Bestreben hat mindestens drei negative Folgen: Zusammen mit dem in den letzten Jahren entwickelten Bedürfnis nach Konsens und Dialog gehen die Feindbilder verloren - und damit auch klare Abgrenzungen samt ihrer inhaltlich-politischen Profile. Um eine Handlungsfähigkeit zu erreichen, müßten ständige Kompromisse geschlossen werden. Die Situation wäre sehr ähnlich den Agenda- und anderen Runden Tischen.

Schlimmer noch ist eine zweite Wirkung: NROs sind zwar nicht die Regierung selbst, treten aber zu den Mächtigen auf die gleiche Ebene - als Berater und Lobbyisten, am liebsten aber als eigenständiger Machtfaktor (Klagerecht, NRO-Parlament usw.). Die deutlichste Abgrenzung verläuft damit zu den "normalen BürgerInnen". Die NROs kämpfen für ihre eigenen Rechte, nicht für die aller Menschen oder der unabhängigen bzw. lokalen Gruppen. Da sich zudem neue Bündnispartner (eben die anderen NROs) anbieten, geht der Kontakt auch zur eigenen Basis weiter zurück. Folge in den großen Umweltverbänden: Die Geschäftsstellen werden mit immer mehr Personal für die Lobby- und Gremienarbeit aufgestockt, während der Kontakt zur Basis verkümmert.

Drittens entsteht eine Gefahr aus dem einzigen gemeinsamen Interesse der verschiedenen NGOs. Was ADAC, Gewerkschaften und Frauenverbände mit UmweltschützerInnen oder Eine-Welt-Läden eint, ist die Forderung nach der Förderung von NGOs. Mehr Geld, Informationen, Posten usw. wollen alle. Daher werden die NGOs in diesem Fall eine starke Allianz für ihre eigenen Bedürfnisse und Vorteile entwickeln - und dabei den nicht-NGO-orientierten Gruppen konkurrierend gegenübertreten. Das kann eine Schwächung und Ausgrenzung selbstorganisierter Gruppen nach sich ziehen (allerdings kann es auch zu einer Klärung führen, in dem selbstorganisierte Gruppen jede Chance auf öffentliche Förderung verlieren, können sie sich mehr auf ihre autonome Aktionsform konzentrieren).

Wie sehr die eigene Machtsteigerung im Vordergrund der NGO-Arbeit steht und diese vor allem auf Kosten der Beteiligung der Menschen insgesamt geht, zeigen zwei zentrale Beispiele von NGO-Arbeit: die Agenda 21 und die Globalisierungsdebatte.

Agenda 21: Dieses Dokument einer UN-Konferenz im Jahr 1992 enthält zum einen die ungeschminkte Aufforderung zum weltweiten Ausbau der Atom- und Gentechnik, auch in anderen Kapiteln werden vor allem High-Tech-Verfahren bevorzugt. In den Kapiteln um die Beteiligung sollen vor allem die Konzerne auf die gleiche Ebene wie die Politik gebracht werden, während mit den BürgerInnen nur ein Dialog geführt werden soll. Eine besondere Rolle wird aber den NGOs gegeben. Das ist einer der Gründe für die Popularität der Agenda 21: Die NGOs wollen vor allem sich selbst nützlich sein, daraus entsteht sogar ein positives Verhältnis zu einem Dokument, das ansonsten jeglichem Umweltschutzgedanken zuwider ist.

Globalisierungsdebatte: Ziel weltweiter neoliberaler Umgestaltung durch neue Handelsverträge, WTO-Bedingungen usw. ist der ungehinderte Zugang zu Märkten, Rohstoffen und Menschen als Arbeitskraft. Soziale und ökologische Bewegungen müßten sich dieser Entwicklung entgegenstellen, fördert sie doch die Ausbeutung von Mensch und Natur. Doch NGOs verhalten sich anders. Sie verbünden sich nicht mit den Menschen, sondern suchen den Kontakt mit den Mächtigen. Sie wollen dabeisein und versuchen, Teilnehmer auf den internationalen Konferenzen zu sein. Dazu gründen sie Lobbyorganisationen, die selbst auch keinerlei Basis und damit Kontakt zu den Menschen mehr haben (Beispiele: WEED, GermanWatch, WWF, Share u.a.). Die protestierenden Menschen in vielen Ländern der Welt werden von den NGO-Kadern höchstens instrumentalisiert für eigene Vorteile oder ihre Forderung, in den Machtapparaten mitwirken zu können. Wenn es den NGOs hilft, distanzieren sie sich ebensoschnell von direkten Aktionen und öffentlichem Protest.

1.7 Akzeptanzbeschaffung

Durch die Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen, ohne jedoch wirklich Mitspracherechte zu haben, gegen die NGOs den Regierenden einen sozialen und ökologischen "Touch". Das stärkt die Herrschenden und ihre Entscheidungen.

2. Wirkung auf Bündnisse

NGOs wirken auf Bündnisse "NGOisierend", d.h. sie übertragen ihre Arbeitsformen auf das Bündnis. Das hat verschiedene Ursachen und Folgen:

  • NGO-orientierte Verbände können an Bündnissen mit radikalen Aktionsstrategien und -inhalten nicht mitwirken, ohne ihren Ruf als regierungsberatende Organisationen zu riskieren, d.h. weiter von den Regierenden akzeptiert zu sein.
  • Oftmals neigen Bündnisse dazu, über die regierungsnahen Organisationen Finanzanträge zu stellen und sind dann später davon abhängig, daß diese Verbände auch im Bündnis mitwirken. Dadurch werden die Bündnisse erpreßbar.
  • Die NGOs sind über ihre Hauptamtlichenstrukturen, angesiedelt nahe der politischen Machtzentren, ständig handlungsfähig und übernehmen die Funktionen, die ihnen eine dominante Rolle in den Bündnissen verschaffen, z.B. die Erstellung eines Rundbriefes, Einladung und Vorbereitung von Treffen, Kontaktadresse nach außen, Pressearbeit usw. Übersehen wird dabei auch, daß Hauptamtlichenstrukturen und Hierarchien nicht nur zur Zensur neigen, sondern in der Regel auch uneffizient agieren, da sie sich nicht nur an der Sache orientieren.
  • NGOs müssen, wollen sie Bündnisse dominieren, auf einen hierarchischen Stil der Bündnisse drängen, denn sie verfügen in der Regel nur über wenige, dann aber hauptamtliche und strategisch erfahrene MitarbeiterInnen. Wo Bündnisse durch kleine Steuerungsgruppen koordiniert werden, wächst die Dominanz derer, die in kleinen Runden mit wenigen Personen agieren.
  • Hinzu kommt die augenblickliche Schwäche der selbstorganisierten Gruppen, sei es lokal, regional oder auch in überregionalen Projekten. Eine überregionale Aktionsfähigkeit jenseits der NGOs und einiger weniger weiterer Hauptamtlichenstrukturen gibt es zur Zeit kaum.

Neben den überregionalen Strukturen und Büros übernehmen zunehmend auch Basisgruppen das Denken als NGO und entwickeln auf ihrer Ebene (Land, Region, Kommune) ähnliche Verhaltensweisen, bemühen sich um Posten in Gremien oder beteiligten sich als Arbeitsschwerpunkt an der Agenda.

Wer radikal bleibt, verliert dann oft den Kontakt zu denen an den Tischen der Mächtigen. Viele agieren weiter als Bürgerinitiative oder autonome Gruppe, verbleiben als naturkundeorientiere Gruppe im Hintergrund oder lösen sich auf.

3. NGO-Arbeit angreifen

Die durch die NGO-Orientierung vieler Verbände und Organisationen entstandenen Abhängigkeiten und politische Inhaltsleere einschließlich der Unfähigkeit, bissig und widerständig zu sein, ist offensichtlich. Es gibt keine Alternative, NGO-Arbeitsformen zu beenden, soll politische Bewegung wieder handlungsfähig und wirkungsvoll sein.

Inzwischen liegen genügend Beispiele vor, die direkte Vergleiche ermöglichen:

  • Die NGO-dominierten Proteste gegen den Weltwirtschaftsgipfel im Juni 1999 in Köln und die von handlungsfähigen Aktionsgruppen organisierten Proteste gegen die WTO am 30.11.99 in Seattle. Dabei ist interessant, daß in Seattle auch Verbände an den Protesten beteiligt waren, die sonst als NGOs agieren, aber in Seattle auf eine öffentliche Aktionsform setzten. Die meisten deutschen NGOs verhielten sich da anders. Sie wollten gerne bei der WTO selbst dabei sein, baten den Atom- und Gentechnikfreund Klaus Topfer (CDU), für sie in der WTO zu sprechen, und kritisierten oder verschwiegen die Proteste zunächst. Zum Glück konnten die deutschen (und auch andere vergleichbare) NGOs in Seattle nicht so zum Zuge kommen wie in Köln - sonst wäre diese WTO vielleicht nicht gescheitert ... Im Nachhinein versuchten viele NGOs, die Proteste für sich zu nutzen und ihre eigene Rolle herauszuheben, gleichzeitig aber stecken deutsche Spitzen-NGOs ihre Hauptkraft in die Gründung eines Super-NGOs, der als Dach-NGOs der basislosen Lobbyverbände auftreten soll.
  • Die Anti-Atom-Proteste, wo im Zuge der sogenannten Konsensgespräche keinerlei Fortschritte, sondern eher nur rechtliche Absicherungen des Weiterbetriebs zu erreichen sind. NGO-Stil war es, sich als Berater aufzuspielen, die eigene Teilnahme an den Konsensgesprächen einzufordern und immer neue Zeiträume für den Ausstieg zu benennen (z.B. BUND-Energiesprecher Klaus Traube nach der Bundestagswahl 1998: 10 Jahre; SPD- und Umweltfunktionär Ernst-Ulrich von Weizsäcker: 30 Jahre usw.). Erst Ende 1999 fanden die Umweltverbände zaghaft zu öffentlichen Aktionsformen zurück, nachdem sie den totalen Mißerfolg ihrer Beraterorientierung bei der Bundesregierung bemerkten. Dennoch halten viele an ihrem Lobbystil fest oder fordern sogar deren Ausweitung (z.B. Restrisiko vom 27.9.99, S. 4). Demgegenüber haben die direkten Proteste die Akzeptanz der Atomenergie im Laufe der Jahrzehnte erheblich reduziert. Ähnliches gilt auch für die Gentechnik: Direkte und öffentliche Aktionen haben die Gentechnik zu einer wenig beliebten Technologie gemacht nicht die Lobbygespräche mit den Regierenden.
  • Die Expo 2000, wo viele NGOs mitmachen in der Hoffnung, dann wenigstens noch kleine Verbesserungen oder Alternativen einbringen zu können. Sie haben im zentralen Bereich der Expo, den Zukunftsentwurf für die Welt von morgen (Themenpark) genau nichts verändern können. Dort werden neue Atomkraftwerke als Energielieferanten präsentiert - aber nebendran drehen sich ein paar Windräder der Öko-Firmen und -Verbände. Medizin und Landwirtschaft sind von Gentechnologie geprägt - daneben steht der Bio-Erlebnishof von demeter. Weltweite Projekte sind der Transrapid, mehrere Atom-Forschungsreaktoren, Genlabore - und auch ein paar Hecken des BUND, das Agendahaus des Umweltzentrums Dresden, die alternativen Lebensprojekte Pommritz, Steyerberg und artefact sowie viele weitere Projekte der Verbände. Sie dienen als Akzeptanzbeschaffer, auf die Expo-Ausgestaltung selbst haben sie keinerlei Einfluß. Dort herrschen die Regierungen und Großkonzerne. Es wird sich zeigen, wieweit der direkte und öffentliche Widerstand die Expo angreifen und demaskieren kann. Der NGO-Stil kann es nicht. Er wird die direkten Aktionen sogar erschweren, weil sich die Expo (mit Recht!) darauf berufen kann, daß auch die Umwelt-, Eine-Welt-, Frauenverbände usw. mitwirken.

Ein Nebeneinander von NGO-Tätigkeit und direkter Aktion ist kaum oder gar nicht möglich, denn sie richten sich zu wesentlichen Teilen gegeneinander. Zum einen geht es um finanzielle und personelle Ressourcen, d.h. es ist nicht unendlich viel Zeit, Geld und Kraft da. Gremien- und Lobbyarbeit aber kostet sehr viel Zeit, die Hauptamtlichenstrukturen verschlingen große Teile des Geldes, das für politische Arbeit zur Verfügung steht.

Zum anderen werden NGOs und direkte bzw. öffentliche Aktionen gegeneinander ausgespielt. Unabhängige Aktionsgruppen werden damit konfrontiert, daß die Mächtigen ihre Handlungen über die Beratung der NGOs legitimieren ("die Expo ist öko, sonst würde doch der BUND, NABU, DNR, WWF ... nicht mitmischen" usw.). Zum Teil greifen die NGOs die direkten Aktionsgruppen sogar direkt an, in dem sie sich ständig von deren Aktionsformen distanzieren (z.B. bei widerrechtlichen Aktionen wie Besetzungen, Sabotage usw.).

Auf der anderen Seite werden NGOs bei ihrer Lobbyarbeit immer wieder auf direkte Aktionen angesprochen und fühlen sich meist genötigt, dazu Stellung zu beziehen. Das belastet die Gespräche - bis dahin, daß NGOs radikalen Gruppen vorwerfen, ihnen die Lobbyarbeit zu erschweren.

4. Die Geschichte spricht für direkte und öffentliche Aktionen

Gerade die Geschichte des Umweltschutzes zeigt, daß direkte und öffentliche Aktionen erfolgreicher sind. Der Umweltschutz wurde zu einer wesentlichen Kraft in der Gesellschaft, als er seine Forderungen mit direkten und öffentlichen Aktionen einbrachte. Startbahn West, Wyhl, Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben und mehr stehen für bundesweite Aktionen, viele örtliche Aktionen, Besetzungen usw. ergänzen diese Liste. Darüber ist der Umweltschutz durchsetzungsfähig geworden. Das Umweltbewußtsein stieg, die Politik zog einem Automatismus gleich mit Umweltschutzprogrammen, -gesetzen usw. nach.

Als die Umweltschutzorganisationen durch mehr Mitglieder und öffentliche Förderung gestärkt und hierarchisch durchorganisiert waren, die ersten FunktionärInnen Karriere machten in Parteien und Verwaltung, später auch in der Industrie, wechselte die Strategie. Dialog, runde Tische, Gremienarbeit und mehr standen nun im Mittelpunkt. Gleichzeitig ließ die Durchsetzbarkeit von Umweltschutzforderungen massiv nach. Heute sitzen "Ökos" in allen möglichen Gremien, Umweltschutz ist aber in der Öffentlichkeit unwichtig geworden. Neue Gesetze oder Programme wirken eher dem Umweltschutz entgegen.

Daraus ist zu schließen: Öffentlicher Druck, direkte Aktion und unabhängige Arbeitsstrategien verbessern die Durchsetzbarkeit der eigenen Forderungen. Allerdings gibt es im Konflikt mit den Regierenden weniger Chancen auf eigene Karriere und finanzielle Förderung. Der NGO-Stil dagegen verschlechtert die Durchsetzbarkeit politischer Forderungen, allerdings verbessert er die Chancen für Karriere und Fördergelder.

5. Was ist zu tun?

Eine doppelte Strategie ist sinnvoll.

Zum einen müssen wieder vermehrt unabhängige Aktionsformen und -strukturen aufgebaut werden:

  • Lokale, handlungsfähige Basisgruppen.
  • Handlungsfähige regionale Bündnisse über Themen- und Verbandsgrenzen hinweg.
  • Aufbau einer unabhängigen materiellen, d.h. auch finanziellen Basis.
  • Aufbau eigener Zentren, Kommunikationsstrukturen usw.
  • Wieder- oder Neubegründung selbstorganisierter Medien, Bildungsarbeit usw.
  • Überregionale Handlungsfähigkeit auf der Basis autonom agierender Basis- und regionaler Zusammenhänge, d.h. ohne Zentralen und Hierarchie.
  • Entwicklung dominanzfreier Diskussions- und Entscheidungsprozesse, d.h. Überwindung von Dominanzverhalten, Moderation, Steuerungsgruppen usw.

Zum zweiten muß innerhalb der Verbände, in denen der NGO-Arbeitsstil neben direkten und öffentlichen Aktionsformen existiert, eine klärende Debatte über die Strategien erfolgen. Ziel muß sein, eine unabhängige materielle und personelle Basis zu schaffen und eine basisorientierte, direkte und öffentliche Arbeitsweise auszubauen - zuungunsten der NGO-Orientierung. Angesichts der klaren Verhältnisse, daß die meisten Führungskader der Verbände einseitig auf den NGO-Stil setzen, ist eine solche Veränderung ohne die Entmachtung der jetzigen Vorstände und sonstigen Gremien nicht vorstellbar. Günstig wäre, insgesamt die Verbandsstrukturen zu dezentralisieren und so umzubauen, daß direkte und öffentliche Aktionsfähigkeit wieder entsteht.

Wo dieses nicht durchsetzbar ist, wird die Spaltung der NGO-orientierten Verbände besser sein als die jetzige Situation, wo auch Zeit und Geld der Verbandsteile, die noch direkt und öffentlich wirken wollen, für NGO-Arbeit genutzt werden. Die Widersprüchlichkeit einer Doppelstrategie (NGO und direkte Aktion, d.h. Bewegung und Parlamentarismus gleichzeitig) würde sonst endlos weitergehen.

6. Die Expo 2000 zum Scheidepunkt machen!

Selten ist so offensichtlich geworden, zu was der NGO-Stil führt, wie bei der Expo 2000. Daher lohnt sich eine direkte und öffentliche Auseinandersetzung mit der Expo auch aus diesem Grund. Denkbar ist nicht nur die Wiederbegründung einer außerparlamentarischen Opposition gegen Herrschaft und Neoliberalismus, sondern auch eine Auseinandersetzung mit den NGOs, die sogar diese Ideologieschau nationaler und ökonomischer Herrschaftstechnologien als Ort ihrer eigenen Mitarbeit akzeptieren.

Die Anti-Expo-Arbeit kann und sollte die Auseinandersetzung mit den herrschaftsstützenden NGOs enthalten. Dabei sollte den NGOs die Chance eröffnet werden, eine selbstkritische Diskussion zu führen und den Weg heraus aus Expo und Nähe zu den Regierenden zu finden. Ebenso sollte aber auch die Entschlossenheit bestehen, den weiterhin expo- und machtmittragenden Verbänden nachdrücklich die "Rote Karte" für ihre Rolle als herrschaftsstützende Akzeptanzbeschaffer zu zeigen.

 

Downloadmöglichkeit für:

Positionspapier zu Verbaenden und NGOisierung

Zurück zur Übersicht