Peter Döge/Hanna Behrend, Nachhaltigkeit als Politische Ökologie, Reihe: Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft, hrsg. von Hanna Behrend, Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin 2001, als Manuskript gedruckt


Gegenüber der dramatischen Vergrößerung selbst schon der Spitze des Eisbergs tatsächlicher Umweltprobleme verhalten sich Umwelttheorie und –politik ungeheuer geschäftig und dennoch merkwürdig gebremst. Es scheint, als ob GegnerInnen der Umweltzerstörungen – aus welcher Richtung auch immer - sich insgeheim überwiegend wider besseres Wissen damit abgefunden haben, dass der Marktmechanismus es schon richten werde. Um so wichtiger ist eine Selbstverständigung über veränderte Bedingungen und Erfordernisse und eine nüchterne, vorurteilsfreie Positionsbestimmung. Dazu leistet der Band einen kritischen und streitbaren Beitrag und somit eine unumgängliche Vorarbeit für adäquate methodologische Ansätze und ein zielgerichteteres politisches Handeln. Vor allem die kritische Analyse wichtiger Richtungen aus der (jüngsten) Geschichte unabhängiger Umweltbewegungen gibt wesentliche Anregungen für heutige Nutzanwendungen. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass die AutorInnen grundsätzlich eine emanzipatorische umwelt- und lebensfreundliche Alternative anstreben.

"Nachhaltigkeit als politische Ökologie" wird in einem fiktiven Briefwechsel aus der Sicht west- und ostdeutscher Erfahrungen diskutiert. Ausgehend von den "gesellschaftlichen Naturverhältnissen" werden die Nachhaltigkeitsdebatte anhand der Kapitalismus-, Industrialismus- und Technikkritik sowie die Suche nach "alternativer Technik" (u.a. am Beispiel der Aussagen von Lewis Mumford, Otto Ullrich, Ivan Illich, Ernst Friedrich Schumacher, Robert Jungk) im Verhältnis zum "patriarchal-kapitalistischen Gesellschaftssystem" analysiert. Peter Döge betont dabei die Geschlechtsblindheit der "Industrialismuskritik", die dadurch Anschluss gewinne an eine inzwischen "technokratisch-ökonomistisch verengte" Nachhaltigkeitsdebatte. Die heutige Umweltpolitik sieht er folgerichtig verkürzt auf eine abgespeckte Version der ökologischen Steuerreform.

Das Problem "gesellschaftlicher Naturverhältnisse" behandeln die AutorInnen faktisch als "fordistische Naturverhältnisse", geprägt durch eine "fordistische Form der Naturnutzung", aus denen die Umweltkrisen resultieren. Offen bleibt dabei weitgehend der Einfluss "postfordistischer" Entwicklungen auf die Umweltverhältnisse, fallen doch gerade die Mitte der 60er Jahre, in denen sich – wie die AutorInnen illustrativ darstellen – ein Bewusstsein von den Umweltkrisen herausbildete, zusammen mit dem Beginnen der "postfordistischen Ära". Zu fragen ist allerdings, ob die Thesen von "fordistischen Naturverhältnissen" überhaupt geeignet sind, Umweltkrisen zu erklären und darüber hinaus alternative Möglichkeiten zu erkunden. Auch wenn Döge z.B. "familiäre Reproduktionsbereiche", darunter die "fordistische Form des Wohnens" in den "Fordismus" einbezieht – in Anlehnung an Burkhard Lutz u.a. -. ist das in doppelter Weise in Zweifel zu ziehen: "Fordistische" Begriffserklärungen sind auf die unmittelbare Reproduktion des Lebens nicht adäquat anwendbar. Hanna Behrend stellt deshalb auch fest, dass es nicht gegen "Industrialismus" gehen könne, sondern gegen den patriarchalen Kapitalismus. Des weiteren setzte die Vermarktung dieser Bereiche, welche in gewisser Weise in der von Döge und anderen angesprochenen Richtung wirkt, im großen und ganzen erst nach der Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts ein. "Fordismus" spielt denn auch im späteren Text z.B. für die Diskussion von Alternativen kaum noch eine Rolle, jedenfalls nicht als Begriff. "Neue Techniken", insbesondere die Informationstechnik werden als solche gewertet, die vielen der Anforderungen an eine "alternative Technologie" zu entsprechen scheinen, aber auch entgegengesetzte Wirkungen aufweisen. Hier wird der Ausgangspunkt "gesellschaftlicher Naturverhältnisse" ganz augenscheinlich nicht durchgehalten.

Informativ und fassbar ist die Geschichte vornehmlich der westdeutschen Ökologiebewegung dargestellt. Sehr deutlich werden dabei die Veränderungen in der Umweltpolitik (besonders die faktischen Einschnitte in den 90er Jahren) und deren Verschiebungen zugunsten der Wirksamkeit von Marktmechanismen. Das schliesst ein, ost- und westdeutsche Sichten und Differenzen in diesen Fragen fruchtbar zu machen, was durchaus noch nicht zu den Selbstverständlichkeiten gehört. Nicht zuletzt gelingt das auch deshalb, weil beide AutorInnen einen "grundlegenden Umbau unserer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft" als unverzichtbar ansehen. Behrend und Döge ergänzen sich in ihren Positionen besonders in der Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsdebatte. In einer ganzen Reihe von Fragen vertreten sie dabei akzentuierte und auch grundsätzlich unterschiedliche Positionen, was sich als sehr anregend erweist. Während sich Behrend z.B. für eine (wirtschaftliche) Wachstumsperspektive und nachholende Industrialisierung ausspricht, setzt sich Döge konsequent für eine Wachstumsbegrenzung (Nullwachstum) ein. Leider bleiben entsprechende Umweltdiskurse in der DDR fast ausgespart (u.a. die Arbeiten von Hans Roos). Schließlich werden Schlussfolgerungen zur Nachhaltigkeitspolitik abgeleitet, leider vergleichsweise kurz gehalten. Offen bleibt z.B., welche methodologischen Neuzugänge zum Problem erforderlich, denkbar und möglich wären. Das betrifft z.B. das Zusammenwirken der Umweltkrisen mit anderen Krisenerscheinungen, wie etwa auf dem Arbeitsmarkt, hinsichtlich partieller Auflösungsprozesse patriarchaler Beziehungen oder der tendenziell totalen Vermarktung in Bereichen der unmittelbaren Reproduktion des Lebens. Obwohl Widerstandspotentiale pluralistisch gesehen und damit auf neue Potenzen aufmerksam gemacht wird, fallen die AutorInnen immer wieder auf einen faktisch ressortmäßigen Ansatz zurück. "Politische Ökologie", nach Peter Döge basierend auf "Diversität" und "Selbstbestimmung", erweist sich noch als wenig konsistent und es steht ihre Verbindung mit Erfordernissen der Erhaltung von Lebensgrundlagen in ihrer Ganzheit aus. Das gilt z.B. für die "Industrialismuskritik" und wird auch bei der Diskussion zur "Neutralität von Technik" und zu den (industriellen) Wachstumsperspektiven deutlich. Müsste auf die Komplexität der Verhältnisse nicht deutlicher hingewiesen werden – auch deshalb, weil in ihrer politischen Handhabung sicherlich ein wichtiger Schritt hin zu Lösungen liegt -, ohne das Buch unlesbar zu machen?

Allerdings hätten einige Passagen durchaus noch eine weitere und vor allem eindeutigere Ausargumentation vertragen. Nicht "auf den Punkt gebracht" wird z.B. die Rolle der "Wirtschaft" in der etablierten Umweltpolitik. Auch hinsichtlich der Rolle des "Marktes" wird vergleichsweise verschwommen argumentiert. Zwar diskutieren die AutorInnen ausführlich und different über Typen und Perspektiven des wirtschaftlichen Wachstums jedoch bleiben deren Wechselbeziehungen zu Marktmechanismen – und damit zu deren Möglichkeiten und Grenzen in einer "Politischen Ökologie" – unberücksichtigt.

Besonders hervorzuheben ist der fast durchgehende Versuch, feministische Konzepte zur ökologischen Nachhaltigkeit zu integrieren. Faktisch werden Aktivitäten der feministischen und Frauenbewegungen allerdings mehr als deus ex machina behandelt. Es bleibt offen, wie sie sich wiederum mit weiteren Teilaktivitäten pluralistisch vernetzen sowie welche Probleme dabei zu lösen wären. Die Sicht auf Erfordernissse emanzipatorischer Politik ist für die LeserInnen mindestens genau so wichtig wie die fundierten und interessanten, ja oft geradezu brillant und "mit Biss"dargestellten historischen Abläufe. Zur Wahl des Korrespondenzstils kann nur beglückwünscht werden; er lockert auf und weckt das Interesse, weiter zu lesen. Also rundum zu empfehlen.

Anneliese Braun

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