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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

"Natürlich muß sich aber doch am Ende alles genau auf den Charakter und die Umstände,
die auf ihn wirken, zurückführen lassen." (Hölderlin)

 

Die Philosophie des 1775 geborenen Schelling wurde geprägt durch seine Herkunft aus der geistigen Welt der theologischen Aufklärung und seine frühen Jugendjahren im Tübinger Stift mit Hegel und Hölderlin. Diese Jahre waren durch den Enthusiasmus der Französische Revolution gekennzeichnet (Dietzsch 1978, S. 13). Seine besonderen geistigen Fähigkeiten ermöglichten schon früh ein eigenwilliges Denken.

Freiheit !!!

Schelling wuchs direkt in den geistigen Umbruch hinein - der ältere Fichte erlebte ihn noch selbst. Erst mit 28 Jahren las Fichte Immanuel Kant, wodurch ihm eine völlig neue Denkweise eröffnet wurde.

Vor Kant bedeutete wissenschaftliches Erkennen, daß die Dinge und das Sein als notwendig nachgewiesen und erklärt wurden. Für Freiheit blieb kein Raum. Kant fragte nun nach den Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens und stellte fest, daß die Erkenntnis der Naturkausalitäten (der Nachweis der Notwendigkeiten) noch eine zweite Form der Kausalität offen läßt: nämlich die Freiheit als Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen. Er wies die Möglichkeit nach, daß sich Freiheit und erkannte Naturnotwendigkeiten nicht widersprechen. Allerdings zeigte er nicht, wie sie zusammengehörig gedacht werden und realisiert sein können. Fichte konnte jedoch befreit ausrufen:

"Alles Fremde sei aufgegeben. Ich will selbst untersuchen." (Fichte 1799/1800)

Auch er begründete noch nicht vollständig, wieso Freiheit positiv möglich ist. Er entschied sich gefühlsmäßig dafür:

"Das System der Freiheit befriedigt, das entgegengesetzte tötet und vernichtet mein Herz."
(Fichte 1799/1800)

Wenn aber nicht mehr alles in der Welt als notwendig erklärt und nachgewiesen wird, so braucht man zum systematischen Denken doch ein Festes, etwas Gewisses. Das einzige noch Gewisse angesichts der Zweifel an allem sah Fichte im ICH.

Das ICH ist nicht einfach das (erfahrende, d.h. empirische) Ich-selbst des einzelnen Menschen. Es bleibt nicht allein, sondern wirkt nach außen, setzt ein Nicht-Ich. Da nun das ICH alles Äußere selbst setzt, ist es befreit. Die Befreiung von dem Druck der scheinbaren (vielleicht aber auch realen) Notwendigkeiten beschrieb Fichte:

"Du wirst nun nicht länger vor einer Notwendigkeit zittern, die nur in deinem Denken ist, nicht länger fürchten,
von Dingen unterdrückt zu werden, die deine eignen Produkte sind..."
(Fichte 1799/1800)

Das ICH ist nicht ein untätig Betrachtendes, sondern im Setzen des Nicht-ich ist es tätig. Das bedeutet:

"Nicht bloßes Wissen, sondern nach deinem Wissen Tun ist deine Bestimmung." (ebenda)

Auch Schellings erste Schriften betonen ausdrücklich das absolut freie Wesen des Menschen, aus dem das erste Prinzip seiner Philosophie wird. (Schelling 1795a, 47)

"Wahre Philosophie kann nur mit freien Handlungen beginnen.
Abstrakte Grundsätze an der Spitze dieser Wissenschaft sind der Tod alles Philosophierens."
(Schelling 1996a,132)

Die dazu notwendige Revolution im philosophischen Denken beschrieb er wie Fichte als Freilassung der Menschheit und ihrer Entziehung vor den Schrecken einer objektiven Welt (Schelling 1795, 47).

Es ging also nicht mehr darum, im Sein etwas gegebenes Festes zu finden.

So wichtig ein fester Standpunkt, eine Verankerung in Gesetzen des Seins für eine handelnde Menschheit ist ("Wissen ist Macht"), so fesselnd werden die Gesetze der Notwendigkeit und sie werden deshalb abgeschüttelt.

Trotzdem blieben Fichte und Schelling nicht in der Abwehr des alten Denkens stehen. Hölderlin als ehemaliger Stifts-Zimmergenosse von Schelling ging einen anderen möglichen Weg. Er versuchte nicht mehr, in der Erkenntnis und Vernunftanwendung neue Wege zu gehen, sondern für ihn war die Welt nur noch dichterisch, poetisch widerzuspiegeln und für sich erträglich zu machen.

Schelling blieb dabei, daß es etwas Absolutes als einen un-bedingten Grundsatz geben muß, in dem Philosophie neu zu begründen ist. Philosophie unterscheidet sich dadurch von anderen Wissenschaften, daß ihr Prinzip, ihr Grundsatz durch nichts anderes mehr begründet und bedingt ist. Jede Philosophie braucht also dieses Un-Bedingte.

Schellings Philosophie gründet sich auf das Credo:

"Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist - Freiheit!" (ebenda, 67) .

Er konnte dies verbinden: Das Durch-nichts-Bedingte ist gleichzeitig "das durch Freiheit Wirkliche" (ebenda, S. 67). Was nun ist durch nichts bedingt und durch Freiheit wirklich? Schelling fand diese Bestimmungen im ICH, nicht dem einzelnen empirischen Ich-selbst, sondern im absoluten Ich, ähnlich wie schon Fichte. Nur dieses ICH ist durch nichts bedingt und kann durch nichts zum Objekt gemacht werden. Dies ist nicht objektiv beweisbar, sondern Grundsatz und unhinterfragbarer Grundsatz der Philosophie der Freiheit (vgl. Schelling 1796a, S. 132f.).

Die vorausgesetzte absolute Freiheit kommt allerdings nur einem unbedingten, dem unendlichen, absoluten Ich zu, das später von Schelling wie bei Spinoza "Substanz" genannt wird. Das empirische Ich, der reale Mensch also, hat zwar Anteil an diesem Unendlichen (sonst hätte es keine Vorstellung vom unendlichen Ich), wird aber von etwas außer ihm Gesetzten, nämlich von Objekten bestimmt.

Gegenüber einer ausweglosen Seins-Festlegung ist hier immer noch sehr viel Platz für menschliches Streben:

"Also soll das endliche Ich streben, alles was in ihm möglich ist, wirklich... zu machen" (1795).

Das absolute Ich ist also weder das empirische Ich-selbst, noch ein Subjekt (denn ein solches ist bedingt durch das Objekt), sondern gerade die Einheit ICH(Subjekt)=ICH(Objekt). Freiheit ist somit auch keine "objektive Freiheit", weil das ICH gar kein Objekt ist. Alles, was Objekt ist, ist bedingt und deshalb nicht frei. Auch das Selbstbewußtsein ist für Schelling nicht der höchste Begriff, sondern eher der Versuch des wandelbaren empirischen Ich, seine Identität zu retten, die nicht zu retten ist (Schelling 1795, 70).

Damals argumentierte Schelling auch noch ausdrücklich, daß dieses oberste Prinzip "ICH BIN!" nicht mit Gott identifizierbar sei (1806 sah er das anders).

Dieses Primat des Geistes ist lebenspraktisch für alle revolutionären geistigen Vor-Entwürfe des Neuen, Zukünftigen unverzichtbar :

"Gebt dem Menschen das Bewußtseyn dessen, was er ist, er wird bald auch lernen, zu seyn, was er soll..." (ebenda).

Auch Hegel erwähnte die weltanschauliche Bedeutung der Befreiung der Menschen von als "natürlich", d.h. unveränderbar gesehenen Notwendigkeiten:

"Insofern der Mensch als Naturwesen ist und sich als solches verhält, so ist dies ein Verhältnis, welches nicht sein soll.
Der Geist soll frei und das, was er ist durch sich selbst sein
."
(Hegel 1830, S. 90)

Tatsächlich steht diese Philosophie gegen eine ohnmächtige Anerkennung des Primats des So-Seins und wurde, wie oben beschrieben, bewußt dagegen ausgearbeitet. Die tätige, schaffende Rückbindung an die reale Welt forderte Schelling am Beispiels des Lernens und Studierens:

"Alle Regeln, die man Studiren vorschreiben könnte, fassen sich in der einen zusammen: lerne nur, um selbst zu schaffen. Nur durch dieses göttliche Vermögen der Produktion ist man wahrer Mensch, ohne dasselbe nur eine leidlich klug eingerichtete Maschine."
(Schelling 1803)

Systematik

Die Systematik in Schellings Philosophie sollte das Neue Denken tragen und begründen. Es war historisch etwas völlig Neues, daß das Wesen des Menschen in absoluter Freiheit gesehen wurde. Der Mensch ist kein Objekt, sondern ein setzendes ICH (Schelling 1795).

Dabei faßte Schelling gegenüber Fichte das ICH weiter und arbeitete die Begrifflichkeit systematischer aus.

Für Fichte standen alle Naturkräfte unter dem Diktat einer strengen Notwendigkeit. Die Erkenntnis fester Gesetzmäßigkeiten war eine menschliche Errungenschaft gewesen, die ein planmäßiges, bewußtes Einwirken der Menschen auf die Natur erst ermöglicht hatte. Aber sie wurde zur Fessel für freiheitliche Bestrebungen. Der "Standpunkt des Universums" als Einheit der Naturkräfte, die die Kräfte des Menschen umfassen, wurde von Fichte deshalb nach seiner Kant-Lektüre aufgegeben zugunsten des "Standpunkts des Selbstbewußtseins" (Fichte 1799/1800, 35).

Er stellte den Menschen nun weit über die Natur:

"Ich will Herr der Natur sein, und sie soll mein Diener sein" (Fichte 1799/1800).

Fichtes "Naturvergessenheit" wird heute oft als unökologisch, die expansionistischen Strebungen der Menschen befördernd, kritisiert. Fichte allerdings sah aus der Freiheit des Menschen nicht die Naturzerstörung entstehen, sondern er erhoffte sich etwas:

"Er (der Mensch) legt nicht nur die notwendige Ordnung in die Dinge; er gibt ihnen auch diejenige, die er sich willkürlich wählte; da wo er hintritt, erwacht die Natur; bei seinem Anblick bereitet sie sich zu, von ihm die neue schönere Schöpfung zu erhalten" (Fichte 1794, 152) .

Schelling gelang es besser, die Freiheit der Menschen mit der Dynamik der Natur zu verbinden. Für ihn ist auch die Natur ein Absolutes, Un-Bedingtes, als solches sich selbst frei Setzendes, also Produzierendes (Schelling 1799) .

Er ging vom Grundsatz ICH = ICH aus. Unter diese Bedingung sind alle Teile der Wissenschaft untergeordnet. Philosophie ihrerseits begründet die Inhalte aller Wissenschaften und verändert durch ihren durch Fichte und Schelling neu eingeführten Grundsatz auch die Wissenschaften.

Das einzigste Merkmal des absoluten ICH ist seine absolute Unbedingtheit. Nur das ICH BIN! kann niemals zum Objekt gemacht werden (Schelling 1795). Sein Inhalt setzt sich selbst (Schelling 1794) und es wird nur durch sich selbst gesetzt. Es ist also durch Identität bedingt.

Im Jahre 1800 systematisierte er seine Gedanken. Er unterschied damals noch deutlich die Transzendental-Philosophie (mit dem ICH als dem Unbedingten, Absoluten) und die Natur-Philosophie (mit der Natur als dem Unbedingten, Absoluten), die sich als zwei notwendige Grundwissenschaften ergänzen.

Für beide Bereiche erkannte er, daß Freiheit nur in der Tätigkeit zu finden ist und jegliches (ruhendes) Sein nur aufgehobene Freiheit ist. Materie als Seinsform ist für Schelling lediglich erloschener Geist, der eigentlich Tätigkeit, Dynamik ist.

Dadurch konnte er das Problem lösen, das durch das Verhältnis von Wahrheit der Erkenntnis (Notwendigkeit) und Realität des Wollens (Freiheit) gestellt wird (Schelling 1800, 7). Indem die ursprüngliche Tätigkeit, durch welche die objektive Welt produziert ist, ursprünglich identisch ist mit der, welche im Wollen sich äußert, ist das Verhältnis geklärt (Schelling 1800,18).

Der Kern der Schellingschen Philosophie besteht in dem Setzen einer ursprünglichen Identität von Subjekt und Objekt, von Mensch und Natur.

Im Wissen, der Vernunft, sind Natur und ICH so vereinigt, daß Subjekt und Objekt nicht mehr zu unterscheiden sind (und eine Prioritätsfrage gar nicht besteht! - dies zur "Grundfrage der Philosophie"). Nur im empirischen Sein und dem verständigen Anschauen sind Natur und ICH getrennt.

Philosophie dagegen hat die Übereinstimmung zu erklären. Dies tut sie in ihren zwei schon erwähnten Grundwissenschaften. Geht man gedanklich vom Subjekt aus, so wird die Transzendental-Philosophie nach Schelling abgeleitet; während das Ausgehen vom Objekt zur Naturphilosophie führt und die Natur als produktiv nachweist.

Diese Identität von Objekt und Subjekt führt dazu, daß es "ein und dasselbe ist, das da weiß und das da gewußt wird" (1804c, 147) .

Deshalb tauchte vier Jahre später bei Schelling auch keine explizite Trennung von Transzendental-Philosophie und Naturphilosophie mehr auf, sondern in der philosophischen Vernunft erkennt sich die ewige Gleichheit selbst (1804c, 151,152). Das reale und das ideale Universum unterscheiden sich nicht im Wesen, sondern nur in der Erscheinungsweise und führen zur realen und zur idealen Seite der Philosophie (1804c, 151,152).

Nach der Hochzeit mit Caroline Schlegel hatte Schelling 1803 Jena verlassen. In Würzburg erreichte er den Höhepunkt seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit. Hier entstanden wichtige Schriften über die Naturphilosophie, bei der er neue Aspekte einarbeitete, die jedoch bereits in eine Statik des Systems mündeten, die sich als Asche auf sein revolutionäres Feuer von vor 1800 legte.

Das Absolute wird jetzt als Gott bezeichnet. Erkenntnis ist keine Tätigkeit eines Subjekts, sondern in ihr erkennt lediglich Gott sich selbst. Die "natura naturans" (produktive, schöpferische Natur) ist Gott (1804c,209).

Schelling verwendete ab jetzt den Begriff der Substanz (von Spinoza) zur Kennzeichnung des Absoluten. Ab jetzt betonte er nicht mehr die freiheitliche Un-bedingtheit, sondern eher die Bindung alles Wesens an die Substanz. Die Substanz ist unendlich, weil sie alle Möglichkeiten als wirklich enthält - dies kann sie aber nur, wenn sie außer aller Zeit steht.

Den endlichen Dingen selbst kommt weder Qualität noch Wesen zu, sondern sie stellen nur abgestufte Potenzen der Substanz dar (1804c,226,357). Die Dinge enthalten zwar noch etwas von der Substanz (die Seele jedes Dings), sie stellen die Einheit des Unendlichem mit dem Endlichen dar, sind aber eher durch Mangel gekennzeichnet (1804c,239,240).



Freiheit, ja aber...

Schelling war davon ausgegangen, "... daß der Mensch da keine Objekte mehr finden darf, wo er selbst zu schaffen, zu realisiren beginnt" (Schelling 1795).

Nach dem Ausarbeiten seines Denksystems bekam der Mensch eine bestimmte Stellung im System, bei der sein Anteil an Freiheit immer stärker relativiert wurde.

Tendenziell war dies von Anfang an enthalten, herausgearbeitet wurde es von Schelling erst in späteren Jahren, mit zunehmender Desillusionierung bezüglich der französischen Revolution und persönlichen Enttäuschungen.

Schelling kritisierte Fichte nun ausdrücklich dafür, daß bei ihm dem Subjekt Freiheit zukomme, während es doch tatsächlich lediglich Gott sei, dem diese Freiheit zukommt (Schelling 1804b, 133). Fünf Jahre später wird er noch eindeutiger feststellen:

Die wirkliche Freiheit besteht in der Vereinigung mit der Notwendigkeit...
Die "Aufgabe besteht darin, die richtige Notwendigkeit zu wählen"
(1809).

In einer neuen Systemschrift analysierte er ausführlicher das Verhältnis von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Das Selbstbewußtsein enthält den Grund von Möglichkeit, die Empfindung zeigt das Wirkliche, aber die Anschauung (der Substanz) die Notwendigkeit (1804c, 525) .

Das letztlich Wahre, dem absoluten Erkennen Adäquate ist in der letzten Grundhandlung des Erkennens erfaßt: im absoluten Erkennen ist keine Zeit, also ist alles Mögliche auch wirklich. Das verwirklichte Mögliche aber ist das Notwendige (1804c, 527).

Aus der Identitätsphilosophie ergibt sich wieder eine Identität: die der Notwendigkeit und Freiheit:

"Eine freie Ursache kann nur diejenige heißen, welche kraft der Nothwendigkeit ihres Wesens,
ohne alle andere Bestimmung, nach dem Gesetz der Identität handelt"
(1804c, 548).

Statt freiheitsfordernder Ungeduld verlangte der Philosoph jetzt die "wahre Duldsamkeit":
"alle Dinge als in der Totalität begriffen zu denken und an ihrer Stelle zu achten" (1804c, 558).

"Das Mitleid, die Empfindlichkeit, die manche Philosophen wegen der Leiden, denen die ganze Gattung unterworfen ist, an den Tag legen, ist in hohem Grade unphilosophisch" (1804c, 575).

Aus Freiheitsstreben wurde Fatalismus:

"Was bestehen soll, besteht, und was vergehen soll, vergeht; an beidem kann nichts verhindert oder hinzugethan werden... Wozu also alle Sorgen und das unruhige Streben? Was geschehen soll, geschieht doch" (1804c, 579).

In seiner Freiheitsschrift relativierte dies Schelling 1809 wieder: Er lehnte die Denk-Variante ab, bei der die Absolute Kausalität in Einem Wesen allen anderen nur unbedingte Passivität übrig läßt. Sein Ausweg besteht darin, "den Menschen mit seiner Freiheit... in das göttliche Wesen selbst zu retten" (Schelling 1809, S. 48f.). Schelling erklärte hier die menschlichen Tätigkeit als göttliche und begründete den damit verbundenen Anteil an Freiheit für den Menschen jetzt aus Gott, also religiös. Dabei kann Gott "sich nur offenbar werden in freien, aus sich selbst handelnden Wesen."

"Weltliches Sein ist zu sich selbst f r e i - gegeben, freigestellt" (ebenda. S. 34) - und dies zum Guten wie auch zum Bösen.

Alles Freie ist in Gott und alles Unfreie notwendig außer ihm (ebenda, S. 57f.). Die ganze Freiheitsschrift ist eine weitergehende Differenzierung des Gottes und seines Grundes. Diese "Haarspalterei" ist notwendig, um einerseits nicht in Pantheismus zu verfallen, andererseits auch das Böse erklären zu können, ohne Gott "böse" zu machen.

Alle Abhängigkeiten können die göttliche Freiheit nicht aufheben, das Wesen selbst nicht bestimmen.

"Frei ist, was nur den Gesetzen seines eignen Wesens gemäß handelt und von nichts anderem weder in noch außer ihm bestimmt ist" (ebenda S. 101).

Weil dieses Wesen selbst wieder schon vor und außerhalb aller Zeiten festgelegt wurde, ist auch hier der einzelne Mensch nur recht beschränkt frei.

Der bei Schelling immer gesehene große inhaltliche Bruch kommt also nicht erst 1809 nach dem Tod seiner Caroline, sondern ist spätestens ab 1804 explizit erkennbar.

Einheit von Natur und Mensch

Schelling erweiterte das Postulat des Un-Bedingten auch auf die außermenschliche Natur. Für ihn ist nicht alles ICH (wie für Fichte), sondern auch die Natur ist ICH-haft, womit er die Produktivität, das Schöpferische betont.

Die menschlichen ICH und die Natur sind identisch im absoluten ICH (siehe Abbildung oben). Dieses absolute Ich, die Substanz - wie Schelling sie nun nach Spinoza nannte - verbirgt in sich alle Möglichkeiten, alle Produktivität. Sie ist natura naturans. Alles Empirische, Endliche, Bedingte - also die "realen" Dinge, sind durch diese Bejahung durch die Substanz beseelt. Aus dieser Beseeltheit, dieser Art Geistigkeit in allem rührt alle Organismushaftigkeit (gegen "Mechanismen"), die innere Dynamik und Bewegung. "Materie" ist noch weniger als dieses beseelte Reale, sondern stellt nur die Dinge dar, die von ihrer Beseeltheit abstrahiert betrachtet werden und dadurch erst zu Mechanismen und Gegenständen der üblichen Kräfte-Physik werden. Die Verknüpfung zwischen materiellen Dingen ist endlich, bedingt, bestimmt, bloß mechanismenartig und deshalb leblos. Schelling will demgegenüber eine speculative Physik begründen, die die Prozeßdynamik physikalischer Prozesse aus der Beseeltheit ableitet.

Die Freiheit ist in der Substanz begründet - das Endliche, Bedingte "borgt" sie nur von ihr aus. Diese Grundkonstruktion führt letztlich konsequent zu Ende gedacht (was Schelling erst später tun wird) in eine Art Fatalismus, die im Endlichen dann lediglich etwas Nichtiges sieht, das kein irdisches Engagement mehr braucht.

Das Angestrebte, die Begründung einer neuen Einheit ohne Unterordnung von Mensch und Natur, gelingt ihm mit dieser Identitätsphilosophie jedoch. Wie Spinoza setzt er Mensch und Natur, Reales und Ideales durch ihre Einheit in der Substanz gleich. Im Gegensatz zu Spinoza stattet er die Substanz noch zusätzlich mit Produktivität und Dynamik aus.

Auch die Natur (in ihrer Beseeltheit, Geistigkeit, Dynamik) wird nicht als Objekt genommen, sondern ihre ICH-Haftigkeit wird herausgestellt. Die Natur als Objekt genommen, fesselt das wirkliche Seyn, das eine Tätigkeit ist, lediglich. Das Produkt (das zeitweilig Stabile in der Natur) ist gehemmte Produktivität - wobei unendliches Streben und Hemmung selbst in der Natur begründet sind. Vorstellbar wird dies durch einen fließenden Strom (unendliches Streben), der an einem Widerstand (der genaugenommen zum Strom gehören müßte) zu Wirbeln gebrochen wird. Die Wirbel sind das sich reproduzierende Produkt (Schelling 1799b).

Eine ruhende organische Gestalt entsteht nur durch beständiges Reproduziertwerden; nur durch einen kontinuierlichen inneren Wechsel (Schelling, 1800).

Die entgegengesetzten Tätigkeiten konstituieren die Produkte als fixierten Streit im Gleichgewicht: Das Gemeinschaftliche dauert jedoch nicht fort - es kommt zur Bildung neuer Produkte bis hin zur Intelligenz (Schelling, 1800).

Die Natur ist autark, und autonom, sich selbst organisierend.

In jedem Individuum spiegelt sich das Ganze, das Unendliche (Schelling 1799b).

Diese beiden Grundsätze kennzeichnen die Aktualität der Schellingschen Naturphilosophie. Die modernen Konzepte der Autopoieisis, der Selbstorganisation, das holographische Weltbild sind hier vorgeahnt.

Das Schellingsche Naturkonzept atmet auch ökologischen Geist. Es wendet sich gegen die Betrachtung der Natur als mechanischer Maschine. Wird die Natur nur in ihren passiver Verschiedenheiten und Bestimmungen betrachtet, verwandelt sich das unendliche Leben in den Tod (Schelling 1804c).

Diese prinzipielle Kritik am mechanistischen Weltbild und dem damit verbundenen Dualismus (zwischen geistiger Dynamik und mechanischem Tod), tötet jedoch nicht alle Dualität und Widersprüchlichkeit.

Ent-Zweiung

Es gibt für Schelling keine Spaltung zu erklären, sondern Gegensätzlichkeit ist notwendig:

"Der Gegensatz muß seyn, weil ein Leben seyn muß, denn der Gegensatz selbst ist das Leben und die Bewegung in der Einheit; aber die wahre Identität hält ihn selbst unter sich als bewältigt, d.h. sie setzt ihn als Gegensatz und als Einheit zugleich, und ist so erst die in sich bewegliche, quellende und schaffende Einheit" (Schelling: 1806a,613).

Die ursprüngliche Entzweiung der Natur ist die Verwandlung des reinen Subjekts in ein Selbst-Objekt: ursprüngliche Entzweiung der Natur (Schelling 1799b).

Nur die in sich selbst entzweite Produktivität erzeugt ein Produkt. Für einen Wirbel wird der fließende Strom wie auch der Widerstand benötigt. Das Ergebnis der Folge 1-1+1-1+1-1... ist nicht 0, sondern ergibt im Unendlichen 1/2.

Auch Hegel sieht "die notwendige Entzweiung (als einen) Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet" (Hegel 1801,25).

Zwischen Mensch und Natur suchten Schelling und Hegel die Einheit aufzufinden - wobei es wenigstens Schelling erst bewußt blieb, daß auch hier der Gegensatz nicht endgültig aufzuheben sein wird und dies auch gar nicht das Ziel sein sollte.

Nur solange der Mensch die Einheit von Mensch und Natur (in der Substanz) nicht erschaut hat, fühlt er sich isoliert:

"Indem sich der Mensch von der Natur losreißt, aber da er noch keine andere Heimat kennt,
so fühlt er sich verlassen"
(zit. in Dietzsch, S. 75).

Auch Hegel suchte die Einheit neu zu erringen:

"Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit gewinnen, entsteht das Bedürfnis der Philosophie" (Hegel: 1801,26).

Hegel wird diese Einheit im vernünftigen (im Gegensatz zum bloß verständigen, d.h. isolierenden, abstrahierenden) Denken aufsuchen, während Schelling der Vernunft-Erkenntnis dieses Ergebnis nicht zutraut und auf die Anschauung verweist.

Aber die Vereinigung ist für beide Aufgabe der Philosophie:

"Wahre Philosophie geht von jener ursprünglichen Trennung aus, um durch Freiheit wieder zu vereinigen, was im menschlichen Geiste ursprünglich und notwendig vereint war, d.h. um jene Trennung für immer aufzuheben..." (zit. in Schmied-Kowarzik 1984).

Bereits kurz nach seinem Weggang aus Jena (1803) veränderte sich die Naturbeschreibung bei Schelling. Natur wurde jetzt lediglich zu einem "Scheinbild gefallener Geister" (Schelling 1804a, 72) und zum Bewährungsort der bis zu ihrer Erlösung wiedergeborenen Seelen.

Gott ist dabei noch längst nicht der Gott der christlichen Glaubenslehre. Er enthält das Reale, aber so, daß dieses Reale vom dynamischen Idealen/Geist (nur das Ideale/der Geist ließ sich für Schelling dynamisch denken) erfüllt ist und umgekehrt.

In den natürlichen Dingen wird Gott ewig wieder geboren. Die Natur ist deshalb "das volle göttliche Daseyn" (Schelling: 1806a,620), Gott in aktueller Wirklichkeit, seine Selbstoffenbarung.

Gott wird zwar als lebendig bezeichnet, aber dem Widerstreit der endlichen Dinge ist er enthoben:

"Gott aber als das Allselige ist außer allem Widerstreit, vorzüglich aber dem, aus welchem allein das endliche Leben hervorgeht" (Schelling 1806b,654).

Zwar ist das Göttliche durch die Seelen noch im Natürlichen enthalten und Schellings Naturanschauung behält die Abwehr gegen alles Mechanische. Aber er wird nie wieder eine Natur-Produktivität oder ähnliches betonen, sondern Gott in den Mittelpunkt stellen. Die Natur-Produktivität ist nicht mehr der Ausgangspunkt einer neben der Transzendental-Philosophie selbständigen Naturphilosophie - sondern er hat beides in einem dynamischen Gottesbild vereinigt.

Für Schellings Einheitsstreben ist es wichtig, die Einheit nicht in der Welt der realen Dinge - natürlicher oder menschlicher - zu suchen, sondern diese Suche an die göttliche Offenbarung zu binden:

"Wo das Licht jener Offenbarung schwand, und die Menschen die Dinge nicht aus dem All, sondern aus einander, nicht in der Einheit, sondern in der Trennung erkennen, und ebenso sich selbst in der Vereinzelung und Absonderung von dem All begreifen wollten: da seht ihr die Wissenschaft in weiten Räumen verödet, mit großer Anstrengung geringe Fortschritte im Wachsthum der Erkenntniß, Sandkorn zu Sandkorn gezählt, um das Universum zu erbauen; ihr seht zugleich die Schönheit des Lebens verschwunden, einen wilden Krieg der Meinungen über die ersten und wichtigsten Dinge verbreitet, alles in Einzelheit zerfallen" (Schelling: 1806a, 629).

Nach 1800 führte diese Betonung der Einheit bei Schelling zu einer insgesamt recht statischen Auffassung für den "Organismus" der Welt.

Ab 1806 sah er die Welt stärker gefährdet durch Mächte, die aus ihrem Grund mit aufsteigen können, wenn das Gleichgewicht der Einheit nicht gewahrt bleibt. Die Mächte des Grunds sind freigegeben, die Welt wird im Kampf und Streit geboren und bleibt gefährdet.

In Gott und der Welt wirken jeweils das Reale und das Ideale, wobei jedes vom jeweils anderen ebenfalls den anderen Aspekt in sich birgt. Der sich ausgleichende Gegensatz bildet das relativ stabile Produkt - das nichtbeschränkte Freisetzen eines der beiden führt zur Gefährdung.

Was das Reale und das Ideale jeweils darstellt, änderte sich in Schellings Interpretation. Gegen 1806 standen sich Reales in Form von in sich konzentrierendem Egoismus und ausfließendem ideales Streben nach Gemeinschaft und Liebe gegenüber; 1809 war das Reale zur expandierenden Sucht nach Bewegtheit geworden, während dem das Ideale als Vernunft- und Ordnungsprinzip gegenübersteht.

 

 

 
Reales
Ideales
ab 1806

(Statik herrscht vor)

kontrahierendes Prinzip

Macht der Konzentration In-Dividuation

(gegen das Zerfließen im Ganzen)

Grund der Eigenexistenz

Gefahr: Egoismus

Zerstörung...

expandierendes Prinzip

Gemeinschaft/ Liebe

ab 1827

Dynamik

expandierendes Prinzip

Drang nach Bewegtheit, Sucht

ir-rationale Macht

Rehabilitation der Vitalität

(im Christentum)

kontrahierendes Prinzip

Vernunft, Grenze, Maß, Ordnung und Form

 

 

(Anm.Fuhrmann zu Freih.-schr.,(1809) S. 155f.)

Bei Schelling ist es selbstverständlich, daß kein Prinzip für sich etwas Schlechtes darstellt, daß alle Aspekte vorhanden sein müssen. Erst das Übergewicht eines der Prinzipien gefährdet den Bestand der Welt. Mit dieser einheitlichen Sichtweise lassen sich deshalb heute alle einseitigen Weltanschauungen kritisieren, die jeweils einen Pol zugunsten des anderen völlig unterdrücken wollen (Anti-Rationalismus, Gemeinschaft ohne Individualität).

Entwicklung

Obwohl Schelling die Natur als lebendig erfaßt, ihre Produktivität und Dynamik betont, ist seine Haltung zur Entwicklung widersprüchlich. Die Zeit führte Schelling 1795 ein, um dem endlichen Ich Gelegenheit zu geben, die Urform des Absoluten zu erreichen. Diese Urform des Absoluten ist die Identität mit sich selbst. Die Forderung "Sey absolut - identisch mit dir selbst" (Schelling 1795, S. 89) verlangt ein Engagement im Sinne des im Ich zum Ausdruck kommenden Freiheitsstrebens. Dahinter steht die Idee eines möglichen und zu erreichenden Fortschritts.

Für das Leben des Einzelnen wird geraten:

"Also soll das endliche Ich streben, alles was in ihm möglich ist, wirklich... zu machen" (Schelling 1795,122)

Dieser Fortschritt läßt dem Handelnden selbst aber keine Wahl mehr. Alles Mögliche ist schon fixiert, im Absoluten.

Dieses Absolute enthält die Verwirklichung alles Möglichen (damit der unendlichen Freiheit). Im Absoluten ist alles Mögliche wirklich. Das Mögliche ist deshalb gleichzeitig notwendig, weil alles Verwirklichte letztlich notwendig ist. Die absolute Freiheit ist identisch mit der Notwendigkeit. Es gibt keinen Raum für zeitliche Prozesse mehr. Das Absolute ist außer aller Zeit (aeternitas: Seyn in keiner Zeit), es ist nicht einmal "ewig"(aeviternitas: Daseyn in aller Zeit) (Schelling 1795, 92).

Der Ruf nach Freiheit wird also ein Aufruf zum Hineingehen in die absolute Zeitlosigkeit.

In einem Text ein Jahr später stellte Schelling ausdrücklich fest, daß es keine Philosophie der Geschichte geben könne. In der Geschichte sei es unmöglich, die Richtung einer freien Tätigkeit a priori zu bestimmen und dies sei nur ein Mangel des Wissens, ein Ausdruck unserer Beschränktheit, "denn hätten wir unsere Aufgabe erfüllt und das Absolute realisiert, gäbe es auch für uns nur das Gesetz unsrer vollendeten Natur" (Schelling 1796/97, 302/303).

Ausdrücklich betonte Schelling, daß es nur einen Schein der Naturgeschichte und einen Schein der Freiheit gebe. Er unterscheidet dann noch zwischen den tierischen Organismen und den Menschen sowie jeweils zwischen Individuum und Gattung.

Den Tieren als Individuum kommt kein Progreß zu, weil sie eingeschlossen sind in einen Zirkel von Handlungen, über den sie nie hinaustreten.

Der Mensch als Individuum dagegen kann noch selbst Geschichte machen (Schelling 1796/1797, 301).

"Dem Menschen aber ist seine Geschichte nicht vorgezeichnet,
er kann und soll seine Geschichte sich selbst machen"
(Schelling 1796/1797, 301).

Eine Geschichte der Tiergattungen ist in verschiedener Weise denkbar:

a) Alle einzelnen Organisationen bezeichnen nur verschiedene Stufen der Entwicklung einer und derselben Organisation.

b) Der jetzige Zustand der organischen Natur ist von dem ursprünglichen höchst verschieden (Schelling 1796/1797, 299).

Im zweiten Falle wäre, wie Schelling bereits erkannte, die Menge scheinbar verschiedener Arten auf Abartungen derselben Gattung zurückführbar.

Schelling entschied sich hier für keine der Varianten, hob aber hervor, daß in beiden Fällen eine Geschichte nur für Gattungen angenommen werden kann, weil nur dann die Einheit (Congruenz mit einem Ideal) in der Vielheit (Abweichungen im Einzelnen) gesichert ist.

Geschichte ist überhaupt nur für Wesen, die den Charakter einer Gattung ausdrücken, möglich. In diesem Sinne hat das Menschengeschlecht als "Ein Ganzes" Geschichte (Schelling 1796/1797, 300). Diese Gattungsgeschichte hat jedoch ein Ideal vor sich, wobei durch den Gattungscharakter bei allen Abweichungen im Individuellen die Congruenz der Gattung mit diesem Ideal gesichert ist.

Noch einige Jahre später betonte Schelling die unendliche Entwicklungsfähigkeit jedes natürlichen Dings - aber nur als Scheinprodukt, als noch nicht identisch mit dem Absoluten (Schelling 1799b,335). Diese unendliche Entwicklungsfähigkeit schließt durch die Bindung an das Absolute, wozu er später auch Substanz und Gott sagen wird, jede Zufälligkeit aus (Schelling 1799b,346/347 und Schelling 1804c, S. 383).

Ein echter dialektischer Entwicklungsgedanke verbirgt sich in Schellings Darstellung vom Produkt als fixiertem Streit, als Gleichgewicht entgegengesetzter Tätigkeiten. Da die Fortdauer des Gemeinschaftlichen nur durch Konkurrenz beider Tätigkeiten realisiert wird, kann sie nicht fortdauern und es entsteht Neues bis hin zur Intelligenz mit dem ganzen System ihrer Vorstellungen (Schelling 1800,88). Dieser Gedanke wird aber nicht weiter verfolgt.

Er kommt auch einer Begründung der Historizität aus der Selbst-Veränderung der Bedingungen (Nichtlinearität, positive Rückkopplung) nahe:

"Es will nicht das Produkt, sondern in dem Produkt sich selbst anschauen" - durch dieses Streben entsteht die Bedingung eines neuen Produkts

und

"...daß alle dynamische Bewegung der Natur aus Identität hervorquillt, daß sie aber eben deshalb als ihre Bedingung ... Differenz fordert" (Schelling 1800,116 u. auch 1804c, 332).

Der Zeitbegriff enthält die Erkenntnis, daß Zeit von Entwicklungsprozessen selbst abhängt. Sie entsteht , "damit das mit Bewußtsein empfindende ICH sich im Selbstgefühl selbst zum Objekt werden kann"; Zeit ist das "ICH in Tätigkeit gedacht" (Schelling 1800,125).

Die Stufenfolge der Sukzession der Intelligenz sah er als Höherentwicklung in der Richtung: Pflanze Tier (GehörSehen...) (Schelling 1800,149). Damit war das geist(dynamik-)erfüllte Nicht-ich noch die Voraussetzung für das menschliche Ich.

4 Jahre später jedoch drehte er die Richtung um. Er sah nur noch eine "allmähliche Verschlechterung der Erde" und eine "herabgesunkene Cultur". Er sah die Geister von ihrem Centro abgefallen, wobei dieser Abfall als Mittel der vollendeten Offenbarung Gottes dient. Die Natur war ihm nur noch ein "verworrenes Scheinbild gefallener Geister", die Seele bestimmt selbst den Ort ihrer Wiedergeburt in den natürlichen Dingen und die Endabsicht der Geschichte ist die Versöhnung des Abfalls (Schelling 1804a) .

Die unorganische Natur war ihm nicht mehr produktiv aus sich heraus, sondern es gab für ihn keine unorganische Natur, diese war ihm eine schlafende Tier- und Pflanzenwelt" (Schelling 1804c, 390f.).

Sehr schön legte er den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft dar:

  • Vergangenheit ist für ihn der Keim der Gegenwart, dessen, was wirklich ist, die Möglichkeit der gegenwärtigen Wirklichkeit.
  • Zukünftig ist das, wovon der Begriff und die Möglichkeit vorhanden sind.

Bestimmend in der Zeit ist die Zukunft, da alles Mögliche letztlich im Absoluten vereint ist und das Zeitliche nur dahin führt (Schelling 1804c, 285).

Das Prozeßhafte wird sofort wieder relativiert:
"innerhalb der Natur kann aber jenes Verhältnis zwar in Ansehung der einzelnen Dinge, aber es kann nie in Ansehung der Natur selbst oder des Ganzen verändert werden.... Bei dem Wechsel des Einzelnen bleibt das Ganze sich stets gleich." (1804c, 291).

Die Statik der unendlichen Substanz (außer aller Zeit) war also hier schon gedanklich enthalten, wenn auch erst 1906 noch deutlicher ausgesprochen. Veränderung und damit Entwicklung war für Schelling wesentlich nicht Thema der Philosophie:

"Nur im Verstand gibt es Fortschritt, in der Vernunft keinen." (Schelling 1804c,574)

Das Zeitleben ist ein nichtiges Leben (Schelling 1806b, 653):

"Es ist abermals Irrthum, wenn du das Entstehen und Vergehen als solche zu sehen glaubst... und es ist nur Geistesträgheit, wenn du die Zeit nicht als die Ewigkeit und die Ewigkeit nicht als die Zeit zu sehen dir bewußt bist" (Schelling: 1806a, 623).

Die "Natur bleibt der Substanz nach immer dieselbe" (Schelling 1806b S. 707) und im Wechsel der Formen "nimmt das Höhere das Niedere in sich auf als ein zu seiner Existenz Gehöriges" (Schelling 1806b, 702).

Schelling hat damit Abschied genommen vom Streben nach Fortschritt.

Mit dem Vorwurf, diese Welterziehung und Weltverbesserung zwinge die Mannigfaltigkeit unter eine Formel, läßt er den Gegebenheiten ihren Lauf:

"Die Mannichfaltigkeit der Schöpfung, hauptsächlich wie sie sich im Menschengeschlecht geoffenbart hat, unter eine Formel zwingen zu wollen, ist der größtmögliche Wahn, aus dem statt der Heiterkeit und Ruhe der Betrachtung nur Unlust und eitle Mühe, wie bei unsern eingebildeten Welterziehern und Weltverbesserern entsteht, oder in verwirrter Verstandesphilosophie die Anklage des Schöpfers, dessen unendliche Fülle sich in allen Graden der Perfektion, ohne Einschränkung in irgend einem, dargestellt hat, weil in jedem für sich die Unendlichkeit ist"(Schelling 1806b, 678).

Schelling opferte damit die Freiheit, die doch noch 10 Jahre vorher sein Ausgangspunkt war. Er stellte selbst eine Totalität auf (das Absolute) und warf den "Weltverbesserern" vor, die Welt unter eine Formel zwingen zu wollen. Lebensgeschichtlich stand dahinter die Erfahrung der Napoleonischen "Freiheits"-Diktaturen.

Und er hat auch hiermit Recht: Gegenüber tatsächlich aufgezwungener "Freiheit" ist das Recht auf Mannigfaltigkeit, das Unendliche in jedem Einzelnen zu verteidigen.

1806 zog Schelling nach München. Er setzte sich in der 1809 erschienenen sog. Freiheitsschrift mit dem Vorwurf des Pantheismus auseinander und verfeinerte die Bestimmung des Gottesbegriffs. Es gelang es ihm dabei, das Böse als verträglich mit seinem Gottesbegriff darzustellen. Obwohl er damit endgültig auf Gott zurückkam, unterscheidet sich sein Gottesbild wesentlich vom christlichen. Die Menschen sind der Welt nicht unterworfen, sondern an sie ergeht der Auftrag Gottes, die Gefährdung der Welt zu bestehen und sich darin zu bewähren.

Diese erneute Prozeßhaftigkeit in Schellings Denken mündet in die Bemühungen, die "Weltalter" zu beschreiben, was ihm nie vollständig gelingen wird.

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