Was bringen wir den Zukünften?

 

 

Ich bemühe mich, die Welt zu erkennen. Dabei lerne ich ihre Wege verstehen. Ich gerate dann in die Situation, alles als wohl begründet und, wenn man alle Umstände zusammennimmt - auch als notwendig bestimmt zu verstehen. Die "Logik der Sachzwänge" holt mich ein... Dann kann ich auch einfach alles geschehen lassen, brauche nichts mehr selbst zu entscheiden, zu tun.

Wenn wir "alle Dinge als in der Totalität begriffen zu denken und an ihrer Stelle zu achten", wie es Schelling (1804) fordert, so enthebt sich der Philosoph allen Engagements im realen Leben:

"Das Mitleid, die Empfindlichkeit, die manche Philosophen wegen der Leiden,
denen die ganze Gattung unterworfen ist, an den Tag legen,
ist in hohem Grade unphilosophisch." (Schelling)

Aber genau das will ich ja nicht. Ich will nichts mehr mit mir geschehen lassen, ich will selbst etwas tun. Und ich will nicht nur etwas Vorherbestimmtes ablaufen lassen, sondern ich will selbst eingreifen in den Gang der Geschichte, ihren Weg bestimmen.

Solange die Weltgeschichte ihren logischen Gang geht,
erfüllt sie ihre menschliche Bestimmung nicht. (Horkheimer)

Ein Ausweg deutet sich an, wenn wir alle Prozesse als sich selbst organisierende erkennen. Hierbei gibt es nicht nur objektive (bedingte) Zufälle, die eine Wahl zwischen verschiedenen kontingenten Wegen erfordern, sondern es ist auch möglich, Neues in die Welt zu bringen.

Zeit entsteht aus irreversiblen Veränderungen, wobei die Vergangenheit festgelegt, die Zukunft jedoch noch weitestgehend offen ist. Die Gegenwart als Zeitspanne dazwischen ist der Raum, in dem wir entscheiden und gestalten.


Aber wer ist "wir"? Wer kann entscheiden und gestalten? Die Verfügungsmittel über die Zukünfte sind ungleich verteilt. Aber wenn wir nicht einmal wissen, wohin wir wollen, wüßten wir mit den Gestaltungsmitteln auch nichts Besseres anzufangen, als die Gegenwart zu verlängern.

Andererseits müssen wir schon aufpassen, daß wir nicht irgendwelchen "Experten" die Befugnis geben, sich auch noch unsere Zukünfte anzueignen. Technokratische Zukunftsstudien befragen oft nur Techniker und als Ergebnis sehen sie eine Zukunft mit baby- und altenpflegenden Robotern. Partizipatorische Zukunftsforschung bezieht uns als die "Betroffenen" (noch nicht immer als die Gestaltenden) wenigstens ein. Dazwischen bemühen sich viele der Experten auch um die Betonung alternativer Möglichkeiten, die sie in Szenarien ausmalen um diese dann zur Diskussion zu stellen. Im günstigsten Fall machen sie ihre eigenen Voraussetzungen, Annahmen und Bewertungen transparent und behaupten diese nicht als "objektiv" (z.B. Karlheinz Steinmüller).

Zukunft wird durchaus bedingt von Vergangenem. Wir können Trends und sogar Gesetzmäßigkeiten erkennen. Bei der Wahl aus den offenen Möglichkeiten (Kontingenzen) und dem Schaffen von Neuem in der Gegenwart gestalten wir die Zukunft. Da wir immer in der Gegenwart stehen, gibt es "die eine Zukunft" für uns nicht, sondern immer Zukünfte in der Mehrzahl.

Wie können wir zwischen diesen Gesetzmäßigkeiten und dem Offenen in der Zukunft vermitteln? Wie können wir dabei unsere Selbst-Entwicklung mit der auf uns einwirkenden Fremd-Entwicklung durch anderes verflechten (Ko-Evolution)?

Wir müssen dabei Wissen über (oft selbst schon gegensätzliche) Trends in unserer Umwelt mit unseren eigenen Wünschen - die mehr oder weniger davon abweichen - in Beziehung setzen.

Eine erprobte Methode dafür ist die Szenariowerkstatt. In ihr werden Visionen und Trends, wünschbare Zukünfte und die "Logik der Sachzänge" so in Beziehung gesetzt, daß wir Orientierungen für ein aktives Handeln erhalten.

Nach einer phantasievollen Einstimmung "heben wir ab" und erspüren und erfassen zuerst unsere Wünsche und Visionen. Erst dann kommen wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und erfassen die vorherrschenden Trends mit ihren jeweiligen Voraussetzungen. Indem wir Vision und Trends zusammenbringen, erarbeiten wir dann ein Leitbild und erst danach konkrete Handlungsziele und Projekte/Maßnahmen.


Visionen sollten dabei nicht unmögliche Utopien sein, sondern realisierbar erscheinen. Szenarien sind bildhafte, einigermaßen kohärente und widerspruchsfreie Beschreibungen möglicher Zukunftssituationen, wobei quantitative (Statistiken) und qualitative (Wünsche, Befürchtungen) Faktoren gleichberechtigt aufgenommen werden.

Für eine Firma ergeben sich verschiedene Etappen. Wichtig ist, daß vor allem auch bei der Visionsfindung alle Beteiligten einbezogen sind. Bei der Diskussion der Ziele wird in einer Art "Probehandeln" bedacht, welche Einflüsse (auch als "Störgrößen") zu berücksichtigen sind, was wir dann zur Vermeidung oder Verhinderung tun können, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind.

Bei der Durchführung und Umsetzung der verschiedenen Etappen können in Teilbereichen der Praxis (Firma, Verein...) durchaus Ziele erreicht werden, die bei rein pragmatischen Aktionen nicht erreicht würden.

Es wird dabei vorausgesetzt, daß alle Menschen durch ihre Erfahrungen mit der Realität ausreichend verbunden sind. Prognosen über Trends von Nicht-Experten sind oft erstaunlich zutreffender als die der Experten. Erfahrungswissen und Wünsche führen zu einer Orientierung gegenwärtigen Verhaltens zur Gestaltung von gewünschten Zukünften.

Neben der hier kurz beschriebenen Szenarien-Werkstatt gibt es andere Formen, in Gruppen Zukunftsvisionen zu entwickeln und Zukunft zu gestalten (Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen...).

Die Methode der Szenarienwerkstätten wurde vom Institut für Arbeit und Technik e.V. in Hamburg entwickelt und erprobt. Sie wurden als Alternative zum Sozialplan in Konkursbetrieben eingesetzt, vor allem in Zusammenhang mit Betriebsbesetzungen. Für einzelne Firmenteile entwickelten die Mitarbeiter(innen) selbst Visionen, Leitbilder und Ziele und z.B. über eine Umwandlung von Kapital in Stiftungseigentum wurde eine Verfügung darüber demokratisch möglich.

Auf dem Weg von der Ist-Situation zum Ziel unterliegen wir immer wieder der Wechselwirkung von eigenen Wünschen/Zielen/Vorhaben und äußeren Faktoren. Selbst- und Fremd-Entwicklung verflechten sich.

Im theoretischen Bild läßt sich einiges davon als "hegelsche" Entwicklung abbilden, wobei jeweils innere Widersprüche in Teilbereichen entstehen und zur Auflösung drängen und anderes wird "nichthegelsch" (also nicht über die jeweilige innere Dialektik des Teilbereichs allen vermittelt) zu beschreiben sein.

Entwicklungsprozesse als Ganze verbinden wesentliche Zusammenhänge (Gesetze) verschiedener Bereiche. Im Gesetzesbegriff nach H.Hörz (qualitativ-statistisches Gesetz) sind die Aspekte enthalten, die ein Übergreifen gesetzmäßiger Zusammenhänge in den betrachteten Teilbereichen (Systemen) in Entwicklungszusammenhänge gestatten.

Auf diese Weise können wir im Wechselspiel von theoretischen Überlegungen (was ist Entwicklung, was ist Gesetzmäßigkeit, welche ökonomischen Prozesse vollziehen sich global/regional...?) und praktischen Schritten wünschenswerte Zukünfte gestalten.

Adressen:



 

 
Zukunfts-Szenarien
Zukunftskonferenzen
Zukunftswerkstätten
Zukunftsforschung
Zukunft in
Kommunen:
Alfred Frosch
(Institut für Arbeit und Technik e.V.)

Glockengießerwall 20
20095 Hamburg

Dr. Walter Häcker
(Beratung für Organisationen und Unternehmen)
Mühlstr. 8
73650 Winterbach
Dr. Karlheinz Steinmüller (Sekretariat für Zukunftsforschung)
Munscheidstr. 14
45889 Gelsenkirchen
Kommune
Niederkaufungen

Kirchweg 1
34260 Kaufungen


 

 

(Gedanken nach einem Workshop über "Partizipative Zukunftsforschung" der Stiftung Mitarbeit
im Tagungshaus der Kommune Niederkaufungen -
v. Annette Schlemm)

 

 

siehe auch:


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