Umfassendere Bereiche:
Der Kapitalismus begann geschichtlich mit dem großen "Bauernlegen"
in Großbritannien. Riesige Schafherden wurden auf die Felder
getrieben und die ihrer Lebensgrundlage beraubten Menschen wurden
in die Fabriken getrieben zur Industriearbeit.
Diese ersten Fabrikarbeiter mauserten sich bald zu Lohn-Arbeitern.
Als Klasse, die ihre Interessen besser durch kapitalistische als
durch sozialistische Lohn-Arbeitsorganisation vertreten sah, wurde
die Arbeiterklasse sofort zum Komplizen der Kapitalisten, als
die kapitalistischen Länder ihre Kolonien im "Rest"
der Welt systematisch und industriell auszubeutet begannen.
Wir europäischen Menschen kennen auch Landwirtschaft seit
Jahrhunderten nur in einer schon sehr aus natürlichen Reproduktionskreisläufen
herausgenommenen Form (Akkumulation für andere Zwecke). Dorfgemeinschaften
in selbstorganisierter Form sind uns fremd. Eine organische Einheit
mit der Natur widerspiegeln nicht einmal mehr unsere Märchen,
sondern eher die Gefahren einer "wilden Natur".
In anderen Gebieten der Erde war und ist das ganz anders. In ihnen
können wir einige Entfremdungs-Prozesse im aktuellen Geschehen
beobachten, die bei uns Europäern selbst schon so verinnerlicht
sind, daß wir sie gar nicht mehr als unmenschlich und unökologisch
wahrnehmen. Die kapitalistische Ökonomie beruht wesentlich darauf, daß sich Bedarf und Produkt auf einem anonymen Markt treffen. Beide müssen entsprechend knappe Güter sein, damit ein Gleichgewichtspreis zustande kommt.
Kapitalismus braucht also Knappheiten!
Die übliche Geschichtsschreibung behauptet, den Menschen
vor dem Kapitalismus ginge es permanent schlecht, sie stünden
dauernd vorm Verhungern, liefen in Lumpen herum usw. Erst die
Warenfülle des Kapitalismus hätte diese Bedürfnisse
befriedigen können.
In der sog. "Dritten Welt" jedoch passiert tendenziell
etwas anderes:
Jahrzehntausendelang funktionierende Öko- und gesellschaftliche
Systeme müssen erst mit Gewalt zerschlagen werden, um künstlich
Knappheiten zu erzeugen, die dann der "liebe kapitalistische
Investor" befriedigen kann. - den Webermeistern in Indien wurden gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Finger gebrochen, um maschinell hergestellte Stoffe aus England exportieren zu können;
- Frauenweisheiten und -selbstverständlichkeiten (Wissen
um Regelung der Fruchtbarkeit usw.) müssen erst zerstört
werden (Hexenverbrennung in Europa, Zerstörung der traditionellen
Lebensweise in Indien), um für männlich dominierte Pharmazie
und Medizin einen Bedarf zu erzeugen; dies setzt sich heute fort
in der Biomedizin als tlw. (zumindest tendenziell) falsche technologischer
Antwort auf Fragen der Lebensgestaltung und -umwelt...
Der Kapitalismus erzeugt also Knappheiten, um sie zu befriedigen.
Daran wäre ja noch gar nicht mal viel Schlechtes. Aber die
"Befriedigung" erfolgt mit anderen qualitativen Mitteln
- das Hauptziel ist die Profitmaximierung. Nicht nur die Enteigung
quantitativer Werte ist Ausbeutung , sondern in der Auswirkung
noch gefährlicher ist die qualitative Ent-Wertung und Zerstörung
von Reproduktionskreisläufen. Die Wälder in Indien lieferten fast 50% der für die Dorfgemeinschaft notwendigen Lebensmittel, Brennstoffe, Faserstoffe, Heilpflanzen usw. Die Menschen dort "arbeiteten" nicht im Sinne von "Herstellen", sondern sie pflegten ihren Wald in Gemeinschaftsarbeit. Die europäischen Eroberer sahen in dem Wald nur unnütze Platzverschwendung (denn nur Ackerbau brachte Steuern ein). Als schließlich massenhaft Teakholz für das Militär gebraucht wurde, lohnte sich das Wegholzen endlich...
Als dann ab 1865 schließlich eine "wissenschaftliche
Bewirtschaftung" begann, wurde nur die kommerziell verwertbare
Biomasse ausgebeutet, der Rest war "Abfall" und verdarb.
Die "wild" bewachsenen "Ödflächen" waren zu 80% in Gemeinschaftsbesitz und garantierten - trotz der Ausbeutung durch die Feudalherren - die Grundernährung der Bevölkerung und damit eine relative Unabhängigkeit.
Das wissenschaftlich geleitete "Programm zu Entwicklung des
Ödlandes" verödete die ökologische Vielfalt,
lauge die Böden aus und nahm ihnen ihre wasserspeichernde
Funktion. Gleichzeitig wurde die Gemeinschaft zugunsten neuer
Eigentümer enteignet. Nur 10% der vorher "Landlosen"
bekam das Land - die restlichen 90% wurden plötzlich "überflüssig"
- "Überbevölkerung".
In 40 Jahrhunderten Pflanzenzucht entstanden in Indien ca. 400
000 Reissorten, die ans Klima und die Standortbedingungen angepaßt
und trotzdem flexibel waren. Die als "Lösung der globalen
Probleme" gepriesene Biotechnologie zerstört diese Vielfalt
und ersetzt sie durch künstliche Hybride, die nur unter optimalen
Bedingungen wachsen, sich nicht selbst vermehren (Abhängigkeit
der Bauern von Konzernen!) und enorme Mengen Schädlingsbekämpfungsmittel
benötigen bzw. deren Bekämpfung wiederum als "Lösung"
die gepriesenen gentechnischem Mittel braucht...
Die massenhaften (wbl.) Kinds- und Fötustötungen im
modernen Indien finden ausgerechnet in den Gebieten statt, in
denen die sog. "Grüne Revolution" die traditionellen
Lebensformen zerstörte und dadurch die typische Frauenarbeit
entwertete und überflüssig machte.
Auffallend ist auch, daß die Gebiete, in denen derartige
"Entwicklungs-"programme vorwiegend
stattfanden, heute diejenigen sind, in denen der soziale und politische
Sprengstoff am größten ist (z.B. Punjab).
Kapitalakkumulation ist zwar quantitativ primär Enteignung
der unbezahlten Mehrarbeit der Lohnarbeit und ihrer Zurechnung
zum Kapital - aber eine qualitative Diskussion der Bedingungen
dieser Kapitalakkumulation führt zur Erkenntnis der ständigen
äußeren und inneren Kolonialisierung.
Rosa Luxemburg charakterisierte die Kapitalakkumulation als "Prozeß
des Stoffwechsels, der sich zwischen kapitalistischen und vorkapitalistischen
Produktionsweise vollzieht" (zit. in Werlhof, S. 41). Die
aus der "ursprünglichen" Akkumulation bekannten
Prozesse (Bauernlegen) sind nicht nur am Ursprung des Kapitalismus
notwendig, sondern notwendige Bedingung jeglicher Kapitalakkumulation.
Theoretisch besteht die Frage darin, woher das Mehrprodukt kommt.
a) nur und wesentlich aus der lebendigen Lohn-Arbeit oder b) nicht
nur und vielleicht nicht einmal wesentlich aus der Lohn-Arbeit.
Bei a) reicht der alte Marx; Marx selbst wäre sicher der
realen Entwicklung gefolgt und in Richtung b) weitergegangen...
Wirtschaftswachstum könnte zwar in seinen wesentlichen Quellen
auf lebendiger Arbeit beruhen - da aber auch seine nichtstofflichen
Komponenten (Informations- und Dienstleistungsgeschäft) sich
immer nur auf der Basis der stofflichen Güterproduktion entwickeln,
ist es mit einer tendenziellen Übernutzung der natürlichen
Ressourcen und der kostenlosen In-Anspruchnahme der Reproduktionsarbeit
der Frauen verbunden).
Typisch ist der aktuelle Fall des Baus größerer Dämme
in Indien zur Energieerzeugung. Um für eine Stadt mit 70
000 Einwohnern "moderne" Verhältnisse zu schaffen
(bei denen auch nur der geringste Teil der Inder in den Genuß
der Vorteile kommt) verlieren 3 Millionen Menschen ihr Land, ihre
Kultur und Tradition. Diese drei Millionen werden zur "Überbevölkerung"
gemacht, die Natur ihrer natürlichen Reproduktionskraft beraubt,
um ein "Bruttosozialprodukt" zu definieren.
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